Phasen der Trauer erkennen und bewältigen

Trauer
Trauer ist etwas ganz Individuelles und Persönliches | Bild: fizkes

Grundsätzlich werden Phasen der Trauer oft sehr ähnlich empfunden, doch jeder Mensch erlebt den Verlust eines geliebten Menschen anders. Dadurch, dass im Laufe der Pandemie messbar mehr Menschen verstorben sind, hat zwangsläufig auch die Anzahl an Hinterbliebenen zugenommen. So traurig diese Tatsache ist, so wertvoll ist es auch, sich mit Trauerarbeit auseinanderzusetzen und die unterschiedlichen Trauerphasen bei sich und anderen zu erkennen.

Warum Trauerarbeit wichtig ist

Die vorläufige Bilanz des Statistischen Bundesamtes zur Corona-Krise lautet: Durch die Pandemie mussten auch in Deutschland messbar mehr Menschen durch außergewöhnliche Umstände ihr Leben lassen. „In den ersten zwölf Monaten der Pandemie von März 2020 bis Februar 2021 war der Anstieg hoch“, so Christoph Unger, Vizepräsident des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden. „Es starben 7,5 Prozent oder fast 71.000 Menschen mehr als vor diesem Zeitraum. Und am höchsten lagen diese Sterbefall-Zahlen bislang im Dezember 2020 und im Januar 2021 [1].“

Übersterblichkeit, der Fachbegriff dieser Entwicklung, ist dabei zu einem der absoluten Unwörter der Pandemie geworden. Denn was für die einen lediglich ein statistischer Begriff ist, ist für viele andere bittere Realität: Durch den Anstieg der Todesfälle nimmt zwangsläufig auch die Anzahl trauernder Menschen zu. Oft ließen die Umstände einen angemessenen, würdevollen Abschied nicht zu oder lassen dies nach wie vor nicht zu. Dann entsteht nicht selten ein hilfloses Gefühl, dass etwas unbewältigt oder unerledigt geblieben ist.

Wie viele Phasen der Trauer gibt es?

Trauer ist kein statischer Gefühlszustand, sondern ein dynamischer Prozess, den wir als Hinterbliebene durchlaufen. Beim Versuch, die unterschiedlichen Phasen der Trauer wissenschaftlich zu definieren, haben sich unterschiedliche Modelle etabliert. Eines davon ist das 4-Phasen-Modell von Verena Kast, einer Schweizer Psychologin:

  • Nicht-Wahrhaben-Wollen (1. Phase)

Je nach den Todesumständen eines Angehörigen sind Schock, Ohnmacht und Hilflosigkeit oft die ersten Reaktionen. In dieser Phase will man den Tod des Verstorbenen nicht wahrhaben und leugnet ihn unter Umständen sogar. Dies kann unterschiedlich lange andauern. Wichtig ist jetzt, den Hinterbliebenen Mitgefühl und Anteilnahme entgegenzubringen. Auch kann in dieser Phase eine Unterstützung bei der Organisation von Bestattung, Trauerfeier und anderen notwendigen formalen Schritten angeboten werden.

  • Aufbrechende Emotionen (2. Phase)

Diese zweite Trauerphase ist nicht selten von Wut, Schmerz, Zorn oder auch Schuldgefühlen gekennzeichnet. Die Nähe und Beziehung zur verstorbenen Person sind ausschlaggebend dafür, wie intensiv und lange diese Gefühle anhalten. Sie sollten jedoch zugelassen und keinesfalls unterdrückt werden. Unterstützung durch professionelle oder ehrenamtliche Trauerbegleiter kann in dieser Phase sehr hilfreich sein.

  • Suchen und Sich-Trennen (3. Phase)

Im Mittelpunkt dieser Trauerphase steht die Auseinandersetzung mit dem Verstorbenen und seinem Leben und Tod. Besuche an gemeinsamen Orten der Erinnerung, an der Grabstätte, das stille Zwiegespräch mit dem Verstorbenen und viel Verständnis und Geduld seitens des Umfelds helfen, um den Tod des geliebten Menschen zu verarbeiten.

  • Neuer Selbst- und Weltbezug (4. Phase)

Die vierte Trauerphase beginnt, wenn der Schmerz über den Verlust langsam überwunden ist und eine Art innerer Frieden mit dem Tod des Verstorbenen geschlossen werden kann. Erinnerungen an die schönen gemeinsamen Momente sollen weiterhin ihren festen Platz haben (dürfen). Doch kommt jetzt auch langsam die Zeit, um neue Pläne für das weitere Leben zu schmieden [2].

Die vier Phasen der Trauerarbeit zu kennen, kann die verständnis- und liebevolle Begleitung eines trauernden Menschen erleichtern. Den Hinterbliebenen hilft dies auch, sich selbst in der eigenen Trauer besser zu verstehen und anzunehmen.

Wie verlaufen Trauerphasen?

Einteilungen in Trauerphasen sind lediglich strukturelle Hilfsmittel, und die Frage, wie lang diese Phasen jeweils dauern, ist müßig. Denn erfahrungsgemäß verläuft Trauer vielmehr zirkulär, spiralförmig.

Phasen der Trauer werden zwar oft sehr ähnlich empfunden, doch sollten wir unbedingt berücksichtigen, dass jeder den Verlust eines geliebten Menschen anders empfindet. Dies ist unabhängig davon, ob wir selbst direkt betroffen sind oder jemandem nahestehen, der gerade trauert. Einfluss auf die Trauer nimmt dabei immer auch, in welcher Beziehung und emotionaler Nähe wir zur verstorbenen Person standen.

Manche Phasen, etwa die Erinnerung an einen besonderen Jahrestag, wiederholen sich und sind für Betroffene oft besonders schwer zu ertragen.

Doch nicht jeder Trauernde durchlebt dasselbe. Und Trauer verändert Menschen auch. Wichtig ist, Trauer als etwas ganz Persönliches zu verstehen und ehrlich mit sich und den anderen umzugehen, anstatt althergebrachte Moralvorstellungen walten zu lassen. Etwa die, dass Trauer genau ein Jahr dauern oder man einen trauernden Menschen besonders „schonen“ müsse [3].

Wie erkennt man pathologische Trauer?

Von pathologischer Trauer – d. h. einer chronischen oder verzögerten Trauerreaktion – spricht man, wenn Betroffene die letzte Trauerphase nicht erreichen, also keinen neuen Selbst- und Weltbezug herstellen und sich nicht neu organisieren können.

Aus medizinischer oder psychotherapeutischer Sicht gilt eine Trauerreaktion dann als krankhaft, wenn sie über sechs Monate hinaus anhält. Dieser Zeitraum sollte jedoch nie als einziges Diagnosekriterium gelten, denn die Lebensgeschichte des Betroffenen und die individuelle Bedeutung des Verlusts spielen eine große Rolle bei der Bewältigung der Trauer.

Symptome nicht verarbeiteter Trauer können sich wie folgt zeigen:

  • Gefühle und Reaktionen wie Wut, Selbstbeschuldigungen, Abkapselung und Verbitterung oder Hassgefühle und Aggressivität sich selbst oder der Umwelt gegenüber
  • Desorganisation, d. h. das Leben verläuft weder normal weiter noch wird es neugestaltet
  • Leugnung von Verlust- und Trauergefühlen oder emotionaler Zusammenbruch bei Konfrontation mit dem Verlust

Betroffene können schließlich in eine Depression und/oder Angststörung gleiten oder chronische körperliche Beschwerden entwickeln. Häufig besteht auch die Gefahr einer Alkohol- oder Medikamenten-Abhängigkeit oderbis hin zu mangelndem Lebenswillen. ..

Kann ein trauernder Mensch den Verlust in angemessener Zeit nicht alleine bewältigen und wird er dabei eventuell zur Gefahr für sich oder seine Umwelt, ist eine psychotherapeutische Behandlung sinnvoll, wenn nicht sogar notwendig. Ziel dabei ist es, die nicht geleistete Trauerarbeit nachzuholen und dem Hinterbliebenen zu helfen, Interessen und Beziehungen wieder aufzunehmen oder neu zu entwickeln [4].

Ihre Hausarztpraxis oder Krankenkasse sind erste Anlaufstellen, um bei Verdacht einer krankhaften Trauerreaktion schnelle und adäquate Hilfe zu erhalten.