Warum wir weinen: Die vielen Funktionen der Tränen

Wir weinen, weil wir wütend sind, leiden oder mitfühlen. Auch vergießen viele Menschen scheinbar grundlos Tränen.

Wir weinen, weil wir wütend sind, leiden oder mitfühlen. Auch vergießen viele Menschen scheinbar grundlos Tränen. | Bild: Photographee.eu – Fotolia

Wir tun es aus Freude, Trauer, Schmerz, Verzweiflung oder Wut. Einige Menschen weinen sogar grundlos. Doch wieso bei uns Tränen fließen, ist für die Wissenschaft immer noch ein Rätsel. Wenn jemand auf die Tränendrüse drückt, um Mitgefühl vorzutäuschen, weint er Krokodilstränen. Dass dieses Bild stimmt, bewies der Zoologe Kent Vlient von der Universität von Florida. Krokodile vergießen beim Fressen wirklich Tränen. Nicht geklärt ist allerdings, ob das aus einem mechanischen Reiz geschieht oder aus Freude, etwas zum Fressen erbeutet zu haben.

Bei Sportlern fließen nach einem harterkämpften Sieg häufig Tränen: des Öfteren gesehen beim Schweizer Tennisspieler Roger Federer und jüngst beim Sieg der deutschen Tennisspielerin Angelique Kerber bei den Australian Open. Sie weinen vor Freude und weil die enorme Anspannung sich löst. Weinen ist laut Wikipedia „nicht an eine bestimmte Emotion gebunden“, sondern „ein unspezifischer emotionaler Ausdruck, welcher der Mimik zugeordnet wird…“ Wir können vor Rührung und Mitgefühl weinen, wir können Freudentränen vergießen, wir weinen beim Abschied, wenn wir trauern oder verzweifelt sind, wir können aber auch vor Schmerzen oder Wut weinen oder weil wir uns ungerecht behandelt fühlen. Manchmal ist einem auch einfach zum Heulen zumute und man weint grundlos. Weinen ist eine natürliche Reaktion und Ausdrucksform, die wir von Geburt an beherrschen. Babys können nur durch Schreien und Weinen darauf aufmerksam machen, dass sie Hunger haben, ihnen etwas wehtut oder sie einfach die körperliche Nähe der Eltern brauchen. Erst unsere Sozialisation belegt Weinen mit negativen Attributen. Es gilt als Schwäche, das beweisen Sprüche wie „ein Mann weint nicht“, „ein Indianer kennt keinen Schmerz“ oder Ausdrücke wie „Heulsuse“. Daher schämen wir uns unserer Tränen und weinen im Verborgenen und vor allem abends: Von 18 bis 22 Uhr werden die meisten Tränen vergossen.

Gesellschaftlich akzeptiert und sogar sympathisch scheint Weinen in der Öffentlichkeit lediglich bei Sportlern, wie eingangs geschildert, und bei prominenten Persönlichkeiten. So stiegen die Beliebtheitswerte des amerikanischen Präsidenten Barack Obama in der amerikanischen Bevölkerung, als er am 5. Januar 2016 bei seinem Plädoyer für ein strengeres Waffenrecht an die Amokläufe erinnerte, die in seiner Regierungszeit passiert waren, und sich dabei mehrfach Tränen wegwischen musste. Seine politischen Gegner hingegen beeindruckte es nicht.

Wie Tränen entstehen

Tränen werden in den mandelförmigen Tränendrüsen der äußeren Augenwinkel produziert. Wie ein Scheibenwischer verteilt jeder Lidschlag die Tränenflüssigkeit auf der Augenhornhaut, überflüssige Feuchtigkeit wird von den Tränenkanälen, die in den inneren Augenwinkeln sitzen, aufgenommen und über den Tränennasengang in den unteren Nasengang abgegeben. Der Abfluss der Tränenflüssigkeit über die Nase ist auch der Grund, warum wir uns ständig schnäuzen müssen, wenn wir weinen.
Die farblose, salzige Tränenflüssigkeit dient dem Schutz unserer Augen. Sie befeuchtet, ernährt und desinfiziert die Hornhaut und schützt das Auge vor dem Austrocknen. Gelangt ein Staubkorn oder ein anderer Fremdkörper in das Auge, beginnen die Tränendrüsen sofort zu arbeiten und produzieren solange Tränenflüssigkeit, bis der Fremdkörper ausgeschwemmt ist. Diese sogenannten Reflextränen bestehen aus Wasser, Kochsalz, Eiweißen wie das antibakteriell wirksame Lysozym und Lipocalin, Zucker sowie anorganischen und stickstoffhaltigen Substanzen. Sie unterscheiden sich in ihrer Zusammensetzung von emotionalen Tränen, die höhere Eiweißkonzentrationen und größere Mengen von Adrenocorticotropin (einem Peptidhormon), Leu-Enkephalin (einem vom Körper hergestellten Schmerzmittel), Serotonin (dem Glückshormon) und Prolactin (einem Hormon, das bei Frauen unter anderem für die Milchproduktion sorgt und den Eisprung verhindert) sowie mehr Kalium, Kalzium und Mangan enthalten. Übrigens: Die Tränen von Frauen sind um ein halbes Grad wärmer als die der Männer.

Emotionales Weinen – für die Wissenschaft nach wie vor ein Rätsel

Anders als Reflexweinen hat emotionales Weinen keinerlei Schutzfunktion für die Augen. Auch wird die Produktion des Tränenflusses nicht lokal von den Sehorganen angestoßen, sondern von Nervenreizen, die von den für Emotionen zuständigen Gehirnarealen ausgehen. Als Kinder weinen Mädchen und Buben gleich häufig. Erst in der Pubertät treten Unterschiede auf – ein Indiz dafür, dass emotionales Weinen mit Erziehung und gesellschaftlichen Normen zu tun hat. Im Erwachsenenalter treten dann geschlechterspezifische Unterschiede deutlich hervor: Während bei Frauen im Schnitt zwei- bis viermal pro Monat die Tränen fließen, weinen Männer höchstens einmal in zwei Monaten. Frauen weinen länger als Männer und ihr Weinen ist mehr von Schluchzen begleitet. Auch der Anlass fürs Weinen ist verschieden: Während Frauen hauptsächlich in Konfliktsituationen, bei Verlusten oder weil sie sich hilflos fühlen Tränen vergießen, sind für Männer eher Mitgefühl oder Trennungen Anlässe zu weinen.
Ad Vingerhoets, bekannter Forscher zum Thema an der Universität Tilburg in den Niederlanden, hält Weinen für Sozialverhalten. In einem Interview sagte er: „Wir weinen, wenn wir uns hilflos fühlen, oder anders ausgedrückt, wenn unser Verhalten und unsere Auffassungsgabe uns nicht in die Lage versetzt haben, mit einem konkreten Problem adäquat umzugehen.“ Das treffe auch auf Weinen zu, das von positiven Emotionen veranlasst wird. Freude oder Rührung überwältigen uns förmlich und wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen; das sei auch eine Form von Hilflosigkeit. Während von negativen Emotionen verursachte Tränen einen Hilferuf darstellten, seien „positive“ Tränen ein Ausrufezeichen. Dennoch ist der niederländische Psychologe überzeugt, dass wir Weinen mehr unter Kontrolle haben als uns bewusst ist. Seiner Meinung nach ist Weinen bereits Teil einer Problemlösung, indem wir signalisieren, dass wir in dieser Situation überfordert sind und Hilfe brauchen. Ein weiterer Aspekt, besonders in Konfliktsituationen, sei, das Gegenüber gnädig zu stimmen. Unterstützung für diese Annahmen kommt vom israelischen Evolutionsbiologen Oren Hasson. Ihm zufolge behindert Weinen aggressives Verhalten beim Gesprächspartner und ist ein Versuch, ihn näher an sich zu binden. Seine Begründung: Die geröteten und von einem Tränenfilm überzogenen Augen haben eine hemmende Wirkung auf den Betrachter, weil sie die Absicht des Weinenden verbergen. Weinen kann demnach durchaus eine gezielte Aktion sein. Wer allzu häufig davon Gebrauch macht, muss sich nicht wundern, wenn er statt Mitgefühl und Hilfe Ablehnung oder Aggression beim Gegenüber weckt.

Weinen hilft nicht bei Stress

Nicht wenige Wissenschaftler gehen davon aus, dass Weinen eine entspannende und reinigende Wirkung habe. Dem widerspricht eine im Jahr 2009 an der Ludwig-Maximilians-Universität durchgeführte Übersichtsarbeit zum Thema emotionale Tränen. Weinen sei keineswegs entspannend, da es Herzschlag und den Blutdruck ordentlich in die Höhe treibt. Daher fühlen sich die meisten Menschen nach dem Weinen erschöpft. Erleichterung verschaffe auch nicht das Weinen, sondern allenfalls die daraus resultierende Anteilnahme. Auch die Vermutung, dass die beim emotionalen Weinen veränderte Zusammensetzung der Tränenflüssigkeit Stress- und Giftstoffe ausschwemmt, hielt keiner wissenschaftlichen Überprüfung stand.

Grundloses weinen

Weinen ohne Grund oder ohne ersichtlichen Grund ist abhängig von Stimmungen, in denen wir uns gerade befinden. Besonders in der dunklen Jahreszeit leiden viele Menschen an Stimmungstiefs. Insofern ist grundloses Weinen kein Anlass zur Sorge. Kommen aber Antriebslosigkeit, sozialer Rückzug und ständiges Grübeln oder negative Gedanken hinzu, ist Weinen aller Wahrscheinlichkeit nach Symptom einer Depression. In diesem Fall ist ärztliche Hilfe gefragt.

Auf Kommando Tränen vergießen

Schauspieler müssen berufsmäßig weinen können. Verlangt eine Rolle Weinen, werden sie aller Wahrscheinlichkeit nicht vorher Zwiebeln schneiden oder sich Seife in die Augen reiben, um den Tränenfluss herbeizuführen. Sie setzen eher auf psychische Reize: Sie können Emotionen dramatisieren, indem sie sich in Ereignisse hineinsteigern, die sie selbst erlebt haben. Gelingt dies nicht, helfen künstliche Tränen nach.

Muss man unbedingt weinen?

Für viele Psychologen haben Menschen, die nicht weinen können, emotionale Blockaden. Sie trauen sich nicht, ihre Gefühle zu zeigen oder sie befürchten, die Kontrolle über sich und die Situation zu verlieren. Verstärkt wird das Ganze noch durch die Angst, mit Weinen Schwäche zu zeigen. Der amerikanische Psychologe William Frey vertrat sogar die Meinung, ungeweinte Tränen machten seelisch und körperlich krank. Dem widerspricht Vingerhoets vehement. Wenn jemand nicht weint, heißt das für ihn noch lange nicht, dass er keine Gefühle ausdrücken kann. Die bisher verfügbaren Studien und Untersuchungen hätten gezeigt: Weinen hilft nicht bei der Verarbeitung emotionaler Ereignisse und Nicht-weinen-können schade nicht und mache auch nicht krank.