Antibiotikaresistenz: Warum viele Antibiotika nicht mehr zuverlässig wirken

Jährlich sterben 700.000 Menschen weltweit aufgrund einer Antibiotikaresistenz. Leichtfertige Verschreibung ist eine der Ursachen.

Jährlich sterben 700.000 Menschen weltweit aufgrund einer Antibiotikaresistenz. Leichtfertige Verschreibung ist eine der Ursachen. | Bild: nikesidoroff – Fotolia

Die Geschichte einer der größten medizinischen Entdeckungen der Menschheitsgeschichte beginnt kurios. Man schreibt das Jahr 1928. Alexander Fleming, Bakteriologe am St. Mary Hospital in London, legt zu Forschungszwecken eine Nährbodenplatte mit Staphylokokken, einer bestimmten Bakteriengattung, an. Schon in Gedanken an seinen Urlaub, vergisst er, sie zu entsorgen. Als er wiederkehrt, macht er eine erstaunliche Entdeckung. Ein Schimmelpilz ist auf der Platte gewachsen – und die Staphylokokken haben sich genau an dieser Stelle nicht vermehrt. Er zieht nach weiteren Versuchen folgerichtig den Schluss, dass dieser Schimmelpilz Bakterien abtötet, während er gleichzeitig für Mensch und Tier ungiftig ist, und nennt den bakterientötenden Stoff „Penicillin“. Die Wunderwaffe der Schulmedizin – sie ist also diesem besonderen Zufall zu verdanken. Doch auf die Idee, Penicillin als Medikament zu testen, kommen erst zehn Jahre später die Wissenschaftler Ernst B. Chain, Howard Florey und Norman Heatley, die mit ersten Erfolgen in den USA Werbung machen. In den 1940er Jahren nehmen sich dann die USA der industriellen Herstellung von Penicillin an, da händeringend ein Medikament für die vielen verwundeten Soldaten des Zweiten Weltkriegs gesucht wird. Und schon 1944 wird so viel Penicillin hergestellt, dass auch die Zivilbevölkerung damit behandelt werden kann. Ein Jahr später erhalten Fleming, Chain, Florey und Heatley für ihre bahnbrechende Entdeckung den Medizin-Nobelpreis. Bereits damals warnt Fleming vor etwas, dessen Konsequenzen rund 70 Jahre später zu einem der größten Probleme der Humanmedizin erwachsen ist: Die Antibiotikaresistenz von Mikroben. Denn er weiß: Wenn Antibiotika in die Hände Unwissender geraten, die diese in zu geringen Dosen oder zu kurz anwenden, werden die Mikroben nicht vollends abgetötet. Ihre Gene passen sich an und dies macht sie widerstandsfähig gegenüber Antibiotika.

Weltweit sterben jährlich 700.000 Menschen aufgrund einer Antibiotikaresistenz

Antibiotikaresistenzen sind zu einem ernsten, medizinischen Problem geworden. Der O’Neill-Report liefert eine anerkannte Schätzung zur Entwicklung dieses gefährlichen Trends: Im Jahr 2050 könnten 10 Millionen Menschen an resistenten Krankheitserregern sterben. Der „Wettlauf“ der Pharmaindustrie, aufgrund der Resistenzen schneller neue Antibiotika zu entwickeln, begann in den 1970er und 80er Jahren. Doch dieser Kampf scheint momentan so gut wie verloren. Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt daher bereits vor einer „post-antibiotischen“ Ära, in der häufige Infektionskrankheiten wie Scharlach, Hauterkrankungen oder eine Lungenentzündung plötzlich wieder sehr gefährlich werden könnten. Wie konnte es soweit kommen?

Das Problem: Leichtfertige Verschreibung und falsche Einnahme von Antibiotika

| Bild: A.Bruno - Fotolia

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Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen werden Antibiotika viel zu häufig verschrieben – oft voreilig, also ohne genaue Bestimmung des Erregers, und selbst dann, wenn es sich wahrscheinlich um eine Viruserkrankung handelt. Doch Antibiotika können Viren nicht abtöten. Die Verschreibung erfolgt dann nicht selten mit dem Argument, den Patienten vor einer drohenden Superinfektion mit Bakterien aufgrund des geschwächten Immunsystems schützen zu wollen. Um die Behandlung einfach zu gestalten, wird vielfach direkt zu Breitbandantibiotika gegriffen, da Schnelltests zur Erregerbestimmung entweder nicht verfügbar sind oder deren Kosten nur selten von den Krankenkassen übernommen werden.

Eine weitere Krux dieser Therapie: Antibiotika töten weniger resistente Keime zuerst ab. Ohne deren Konkurrenz können sich die noch vorhandenen, resistenten Erreger dann aber ungestört verbreiten. Wird das Antibiotikum dann auch noch zu früh abgesetzt, überleben Erreger nicht nur, sondern sie entwickeln Resistenzen gegenüber dem Antibiotikum, bevor sie den nächsten Wirt erreichen. Das gilt übrigens auch für natürliche Darmkeime, bei denen ähnliche Mutationen stattfinden können. Eigentlich harmlose Escherichia-coli-Bakterien eines Gesunden werden dann, ausgestattet mit neuen Resistenzen, über den Stuhl ausgeschieden und können bei Immungeschwächten (z. B. Neugeborene, Organtransplantierte und HIV-Patienten) schwere Infektionen auslösen.

Wie bilden Bakterien gegenüber Antibiotika Resistenzen?

Experten unterscheiden verschiedene Arten der Entwicklung von Antibiotikaresistenzen, wie zum Beispiel:

  1. Die Bakterien verändern den Angriffspunkt des Antibiotikums (z. B. Ribosomen).
  2. Die Bakterien verändern die Durchlässigkeit ihrer Zellmembran (Membranpermeabilität), so dass das Antibiotikum nicht mehr eindringen kann.
  3. Die Bakterien bilden das Enzym Beta-Laktamase, welches so genannte Beta-Laktam-Antibiotika spaltet, noch bevor sie aktiviert werden können.

„The more you use it, the quicker you lose it”

Je öfter man es benutzt, desto schneller geht es verloren! Ein Blick in die europäischen Nachbarländer zeigt: Antibiotikaresistenzen bilden sich besonders dort aus, wo viele Antibiotika zu undifferenziert verschrieben werden (z. B. Griechenland, Portugal) und am wenigsten dort, wo sie mit größerer Zurückhaltung verordnet werden (z. B. Niederlande, Skandinavien). Deutschland belegt in dieser Rangliste übrigens einen Platz im Mittelfeld.

Die Entwicklung der Resistenzen verläuft dabei immer rasanter. In Hongkong, Japan, den USA und Frankreich wurden Staphylokokken gefunden, die selbst gegen das Reserveantibiotikum Vancomycin resistent waren, das bisher als die letzte Waffe gegen Bakterienstämme galt, die gegen normale Antibiotika resistent sind. Und die brandneuen Antibiotika Delamamid und Bedaquilin, die erst 2014 zugelassen wurden, wirken bereits nicht mehr bei einem extrem resistenten Mycobacterium-tuberculosis-Stamm, der bei einem Tuberkulose-Patienten entdeckt wurde. Der Vorsprung der Medizin vor den resistenten Erregern schmilzt mit schnellen Schritten dahin.

Flaschenhals Antibiotikaforschung – Seit den 1980er Jahren werden immer weniger Antibiotika entwickelt
Nachdem Selman Waksman in den 1940er Jahren eine ausgeklügelte Labormethode erforscht hatte, Antibiotika gezielt aus Bakterien oder Pilzen zu isolieren, entwickelten zahlreiche Pharmakonzerne basierend auf seiner Methode in der goldenen Ära der Antibiotika einen Großteil der heute bekannten Wirkstoffe. Doch in den späten 1980er Jahren wurde diese Suche immer kostspieliger und war seltener von Erfolg gekrönt. Während von 1980 bis 1984 noch 18 Präparate in den USA zugelassen wurden, waren es im Zeitraum von 2005 bis 2009 hingegen nur noch 3. Da zudem mittlerweile Patente für die meisten Antibiotika abgelaufen sind und Antibiotika nicht viel kosten dürfen, ist auf diesem Markt nur noch schwer Geld zu verdienen. Big Pharma hat sich nach und nach aus diesem Feld zurückgezogen und sich vermehrt der Krebs- und Impfstofferforschung zugewendet. Wer heutzutage ein Antibiotikum entwickeln möchte, tut dies eher aus ethischen Prinzipien.

Reserveantibiotika für den Notfall

Um nicht alle Trümpfe aus der Hand zu geben, wurden daher so genannte Reserveantibiotika festgelegt. Bei Reserveantibiotika handelt es sich um spezielle (oft auch ältere) Antibiotika, die nur zur Behandlung resistenter Erreger, wie zum Beispiel dem Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA), und im Falle schwerer Infektionen zum Einsatz kommen dürfen. Dadurch soll die Resistenzentwicklung zumindest verlangsamt werden. Leider sind Reserveantibiotika häufig weniger effektiv und mit mehr Nebenwirkungen behaftet, als herkömmliche Antibiotika. Doch auch die Resistenzen gegen die Medikamente der Hinterhand nehmen stetig zu, da sie etwa in der Landwirtschaft ohne Einschränkungen eingesetzt werden dürfen.

Deutsche Viehzucht gibt die eiserne Reserve billigend aus der Hand

Während sich in der Humanmedizin die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Reserveantibiotika wirklich als „eiserne Reserve“ zu behandeln sind, werden sie in der Landwirtschaft immer häufiger von Tierärzten herausgegeben, um auf die extremen Hygienebedingungen in der Hochleistungszucht zu reagieren. Anders als in der Humanmedizin ist es in der Tiermedizin erlaubt, dass Veterinäre Medikamente direkt ausgeben und damit zusätzliche Einnahmen erwirtschaften können. Es gibt also kein Pendant zur so genannten Dispensierpflicht in der Humanmedizin, bei der Verordnung (Arzt) und Ausgabe (Apotheke) getrennt erfolgen müssen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) fordert daher einerseits, die Viehzucht so zu gestalten, dass sie ohne den Einsatz von Antibiotika auskommt und andererseits, das Dispensierrecht einzuschränken – und stattdessen Tierärzten finanzielle Anreize für eine Beratung gegen die Gabe von Antibiotika zu gewähren.

Lässt sich die „postantibiotische Ära“ noch abwenden?

Das Europäische Parlament sieht vor, den Einsatz von Reserveantibiotika in Ställen zu verbieten. Doch es ist klar, dass auch die Erhaltung der Wirksamkeit dieser Notfallmedikamente in Zukunft nicht ausreicht. Derzeit diskutiert die Politik daher auch die Gründung von Public-Private Partnerships (PPP), die die benötigten Forschungsgelder aufbringen könnten, damit unabhängige Institute und Universitäten dringend benötigte neue Wirkstoffe für die Humanmedizin entwickeln.

Außerdem arbeiten Forscher an neuen Strategien gegen Antibiotikaresistenzen, wie etwa dem Antibiotika-Cycling. Dabei kommen zwei geläufige Antibiotika in schnellem Wechsel zum Einsatz. Untersuchungen mit dem multiresistenten Krankenhauskeim Pseudomonas aeruginosa, der insbesondere Immungeschwächte Patienten bedroht, haben gute Erfolge erzielt. Das Neue am Antibiotika-Cycling ist nicht die wechselnde Verabreichung von zwei Standard-Antibiotika, sondern die Geschwindigkeit, mit der dieser Wechsel vorgenommen wird. Denn Erreger können innerhalb weniger Tage bis Stunden Resistenzen ausbilden.

Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Verbesserung der Krankenhaushygiene, da sich multiresistente Keime besonders gut auf Krankenhausstationen ausbreiten können. Die Niederlande machen vor, wie es gehen kann: Hier werden Risikopatienten, bei denen der Verdacht auf MRSA besteht, zunächst isoliert, bevor per Abstrich nachgewiesen wird, ob tatsächlich eine Infektion besteht. In holländischen Krankenhäusern konnte die Durchseuchung mit MRSA so auf unter 1 % gesenkt werden – in Deutschland liegt diese derzeit bei über 20 %.

Trotz aller Maßnahmen wird die Politik wohl nicht umher kommen, eine spezifische Diagnostik verpflichtend einzuführen und Ärzte und Patienten besser zu schulen, um den unbedachten Einsatz unserer „Wundermedizin“ drastisch einzuschränken. Doch ob diese Maßnahmen wirklich genügen, um die „postantibiotische Ära“ abzuwenden, wird erst die Zukunft zeigen.

Sehen Sie hier unser Dossier zum Thema Antibiotika