Schlafmittel bei Kindern – ein gefährlicher Trend

Nur selten verbirgt sich hinter den Einschlafproblemen von Kindern eine handfeste Schlafstörung.

Damit ihre Kinder besser schlafen, greifen manche Eltern zu Schlafmitteln.| Bild: pressmaster – Fotolia

Kleine Kinder haben häufig einen sehr unruhigen Schlaf. Nicht immer stecken dahinter Schlafprobleme oder gar eine ernstzunehmende Schlafstörung. Doch wenn das Sandmännchen versagt, greifen verzweifelte Eltern offenbar immer öfter zu Schlafmitteln. Selbst überzeugte Pharmazeuten warnen vor dieser Praxis. Die chemisch erzeugte Nachtruhe belastet die Kinder mit Nebenwirkungen und möglichen Beschwerden wie Unruhe, Angst oder Atemdepressionen.

Auch der Einsatz der Homöopathie als Schlafmittel sollte, wenn überhaupt, sehr sorgsam erfolgen. Wie sich Probleme mit dem Kinderschlaf auch ohne Medikamente meistern lassen, lesen Sie hier.

Sie strahlen vor Glück und haben dunkle Ringe – die Augen frischgebackener Eltern sprechen Bände. Von der Wonne des Lebens mit einem Kind am Tag und wenig Schlaf in der Nacht. Doch während unruhiger Kinderschlaf in den ersten Lebensmonaten noch als normal empfunden wird, können länger anhaltende nächtliche Turbulenzen schnell zum familiären Reizthema werden. Nicht wenige Eltern zweifeln an sich selbst und streiten mit dem Partner über den besten Weg aus der Misere. Dass sich Bücher wie „Jedes Kind kann schlafen lernen“ millionenfach verkaufen, ist kein Wunder. Doch laut Experten würden Eltern durch die Ratgeberliteratur häufig verunsichert. So könnten Tipps wie das Beharren auf einer fixen Schlafdauer die Entstehung von Schlafstörungen sogar fördern.

Wie viel Schlaf brauchen Kinder?

Fest steht: Der Mensch muss schlafen. Rekordversuche im Wachbleiben enden meist mit Zusammenbrüchen und Psychosen. Warum allerdings die Jüngeren mehr Schlaf bräuchten als die Großen, ließe sich nur mutmaßen, da die Wissenschaft noch gar nicht beantworten könne, warum wir eigentlich schlafen, so Dr. Oskar Jenni vom Zentrum für Schlafmedizin am Kinderspital Zürich. Viele Eltern überschätzen den Schlafbedarf ihres Kindes. Der Schlafbedarf ist altersabhängig. Er kann von Kind zu Kind aber sehr unterschiedlich sein. „Babys zwischen vier Monaten und einem Jahr brauchen im Verlauf von 24 Stunden etwa 12 bis 16 Stunden Schlaf, Ein- bis Zweijährige benötigen ca. 11 bis 14 Stunden und Drei- bis Fünfjährige 10 bis 13 Stunden – einschließlich Vormittags- und Nachmittagsschlaf. Schulkinder zwischen sechs und zwölf Jahren sollten etwa 9 bis 12 Stunden in der Nacht schlafen und Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren sollten 8 bis 10 Stunden Nachtruhe bekommen“, so Prof. Dr. Hans-Jürgen Nentwich vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Diese Zahlen basieren auf den aktuellen amerikanischen Empfehlungen, die sich weitgehend mit den deutschen decken. Sie können als grobe Orientierung dienen. Da der Schlafbedarf unter gleichaltrigen Kindern sehr unterschiedlich ist, gibt es jedoch keine Regel, wie viel Schlaf ein Kind in einem bestimmten Alter benötigt. Kurz: Ein Kind kann nur so viel schlafen, wie es seinem Schlafbedarf entspricht. Muss ein Kind mehr Zeit im Bett verbringen, reagiert es darauf unterschiedlich – etwa mit Einschlafschwierigkeiten am Abend, sehr frühem Aufwachen am Morgen oder mehrfach längeren nächtlichen Wachzeiten.

Das Anpassen der Bettzeit an den Schlafbedarf ist deshalb eine wichtige Maßnahme bei Einschlaf- und Durchschlafproblemen. Auch wenn Eltern ihre Kinder lieber früher ins Bett schicken, um noch Zeit für Hausarbeit, den Partner und die eigene Entspannung zu finden, ist das kontraproduktiv, wenn die Kinder noch nicht ausreichend müde sind. Es ist daher wichtig, dass Eltern den Schlafbedarf des Kindes erkennen – entweder durch eigene Beobachtung oder unter fachlicher Anleitung – und die Bettzeit entsprechend anpassen. Hilfreich kann ein Schlaftagebuch sein (1). Darin wird drei Wochen lang eingetragen, wann das Kind eingeschlafen ist, wie lange es geschlafen hat, wie oft es aufgewacht ist und unter welchen Bedingungen der Schlaf unterbrochen wurde. „Kleine Kinder können bis zu einem Alter von fünf Jahren noch regelmäßig aufwachen, ohne dass eine Störung vorliegt. Der Kinder- und Jugendarzt kann unter anderem anhand der Einträge des Schlaftagebuchs erkennen, ob Änderungen im Tagesablauf die Schlafqualität des Kindes verbessern können, ob weitere Maßnahmen erforderlich sind oder ob sich Eltern unnötig Sorgen machen. Oft reicht es aus, eine angenehme und ruhige Routine für die Zubettgehzeit und ein Einschlafritual zu schaffen“, so Prof. Nentwich.

Wichtiges Mittel für den Schlaf: Geborgenheit

Das wichtigste sind Rituale, die für Geborgenheit und Entspannung sorgen: ein Schmusetuch, der Teddybär, das Nachtlicht, ein abendliches Bad, Fußmassagen mit Lavendelöl oder eine Geschichte vorlesen. Ein Schema F gibt es dabei nicht. Was dem eigenen Kind beim Schlafen hilft, muss man einfach ausprobieren. Zu lange sollte das Abendritual nicht dauern. Wenn es jeden Abend etwa eine Stunde beansprucht, bis das Kind endlich schläft, sollte man etwas anderes ausprobieren oder sich fachliche Hilfe bei Hebammen, Kinderärzten oder „Schreiambulanzen” holen. Zudem sollten Kinder im Bett einschlafen. Schläft ein Baby im Arm oder an der Brust ein, bekommt es Angst und schreit, wenn es dann alleine im Bett aufwacht. Empfohlen wird auch, schreiende Kinder nicht gleich auf den Arm zu nehmen, sondern ihnen anders zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Zum Beispiel durch beruhigende Laute oder Streicheln. Keine gute Idee dagegen sind Schlafmittel.

Schlafmittel bei Kindern – riskant

In Online-Foren erklären überforderte Eltern, wie man sein Kind mit Medikamenten ruhig stellt. Hoch im Kurs stehen Mittel wie „Sedaplus“. Es enthält die Substanz „Doxylamin“, die im Gehirn in den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus eingreift. „Die Kinder schlafen damit zu tief. Dann ist der physiologische Schlaf gestört, und die Erholung und auch das Lernen im Schlaf können schlechter stattfinden. Letztlich schadet man dem Gehirn“, so Andrea Bevot, Oberärztin an der Tübinger Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin. Sie warnt Eltern auch vor Zäpfchen gegen Übelkeit wie „Vomex A“. Sie enthalten H1-Antihistaminika und machen als Nebenwirkung auch müde. Das Problem: Schon nach zwei Zäpfchen kann es zu einer Überdosierung kommen. Die größte Gefahr ist dann das mögliche Auftreten einer Atemdepression. Das Kind kann das Bewusstsein verlieren und einen Atemstillstand erleiden. Sobald Anzeichen sonderbarer Wirkungen in Verbindung mit der Einnahme eines H1-Antihistaminikums festgestellt werden – etwa Verwirrung – sollte umgehend ein Arzt hinzugezogen werden. „Bei einem Säugling kann es zu einer sogenannten hyperkinetischen Bewegungsstörung kommen. Da kommen die Patienten dann in die Notfall-Ambulanz, weil sie plötzlich so komische Bewegungen machen, die sehr erschreckend aussehen und einfach eine Reaktion des Gehirns auf dieses Medikament sind“, warnt die Tübinger Kinderärztin.

Homöopathische „Schlafmittel“

Auch bei homöopathischen Zäpfchen zur Beruhigung ist Vorsicht geboten. Vor allem wenn sie homöopathische Zubereitungen aus Tollkirsche (Atropa belladonna) und/oder Wiesenkuhschelle (Pulsatilla pratensis) enthalten. Sie sind unverdünnt toxisch. Da der Verdünnungsgrad in bestimmten Zäpfchen jedoch nur einer „D2“ entspricht (Verdünnung 1:100), muss unbedingt auf die Dosierungsanleitung geachtet werden. Säuglinge dürfen maximal 1 Zäpfchen pro Tag bekommen. Eine Langzeitanwendung sollte vermieden werden.

Die gelegentliche Gabe von Globuli auf Hafer-Basis ist eine schonende Alternative. Hafer (Avena sativa, z.B. in Calmy Hevert) wird gegen Ein- und Durchschlafstörungen eingesetzt und eignet sich gut zur Anwendung bei Kindern bereits ab 6 Monaten. Was Eltern sonst noch für einen gesunden Kinderschlaf tun können, behandelt der Ratgeber „Schlafstörungen bei Säuglingen, Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen“ (2) der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin.

Und damit sie selbst genug Schlaf bekommen, sollten regelmäßig Verwandte und Freunde herangezogen werden. Sonst droht ein Teufelskreis: Denn ohne ausreichend Schlaf steigt der Stresspegel der Eltern und ihre Unruhe und Gereiztheit überträgt sich dann wieder auf das Kind.

>Sehen Sie hier unser Dossier zum Thema Schlafstörungen