Regelmäßiger Aderlass: Blutspenden hilft Blutdruck senken

Blutspenden als eine moderne Form von Aderlass?

Laut Forschern kann regelmäßiges Blutspenden Bluthochdruckpatienten helfen. | Bild: lightpoet – Fotolia

Jeder Vierte in Deutschland hat einen zu hohen Blutdruck. Medikamente allein sind nicht die Lösung. Laut Studien lässt sich Bluthochdruck durch Ernährung, Bewegung und Entspannung senken. Zudem könnte Blutspenden als moderner Aderlass noch eine wichtige Rolle in der Therapie von Bluthochdruck spielen. Betroffene fragen sich aber oft, ob sie mit Bluthochdruck überhaupt Blut spenden dürfen.

Der Ausgangspunkt für das aktuelle Interesse der Bluthochdruck-Forschung an der Blutspende liegt in grauer Vorzeit. Sein Name: Aderlass. Aderlass? Dabei denkt man unwillkürlich an tiefstes Mittelalter und brachiale Heilmethoden, die oft ebenso schrecklich wie wirkungslos waren. An Quacksalber und Bader ohne jegliche wissenschaftliche Ausbildung, die den menschlichen Körper mit Sägen und Meißeln traktierten. Tatsächlich erlebte der Aderlass im Mittelalter seine Hochzeit. Doch seine Geschichte reicht viel weiter zurück. Nämlich mehr als 2000 Jahre. Der Aderlass ist eines der ältesten Heilverfahren überhaupt und gehörte zum Therapiegut aller Kulturen. „Wissenschaftlich“ begründet wurde er jedoch erst von Hippokrates im Rahmen der in der Medizin der griechischen Antike vorherrschenden „Säftelehre“ (Humoralpathologie). Nach ihr bedeutete ein Gleichgewicht (Eukrasie) der vier Kardinalsäfte Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle Gesundheit, ein Ungleichgewicht (Dyskrasie) hingegen Krankheit. Der Aderlass (Phlebotomie) war in diesem Kontext ein Verfahren, um das Säfte-Gleichgewicht wiederherzustellen, aber auch um krankhafte Stoffe auszuleiten. Doch auch nachdem die Säftelehre längst überholt war, wurde der Aderlass weiter praktiziert.

In der mittelalterlichen Klostermedizin erfreute sich diese Heilbehandlung großer Beliebtheit und war fester Bestandteil des Klosterlebens. Die Erfahrungen der Klöster gingen in die Lehre der ersten Hochschulen Europas im 13. und 14. Jahrhundert ein. Aufgrund fehlender anatomischer Kenntnisse und mangels Alternativen wurde der Aderlass als ‘Allheilmittel’ propagiert und zum häufigsten chirurgischen Eingriff. Vorwiegend wurde er an Armen, Beinen oder am Hals mit Hilfe eines Aderlasseisens (fliete) oder einer Nadel (bickel) vorgenommen. Bei welcher Krankheit wo am Körper der Patient zur Ader gelassen werden sollte, darüber informierten die Aderlassbüchlein und graphische Darstellungen, die sogenannten Aderlassmännchen. Diagnosen wurden anhand der Farbe und Gerinnung des ausgelassenen Blutes gestellt. Im 15. Jahrhundert entwickelte sich der Aderlass mehr und mehr zu einer niederen Tätigkeit. Zuständig waren nicht mehr die Klöster und Universitäten, sondern die Bader und deren Gehilfen, die Barbiere. Mit den wachsenden anatomischen Kenntnissen verlor der Aderlass immer mehr an Bedeutung, war aber bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts durchaus noch üblich. In der modernen Medizin wird der Aderlass nur noch selten und sehr gezielt bei begründeten Indikationen vorgenommen, zum Beispiel bei der Eisenspeicherkrankheit (Hämochromatose). Allerdings hat er in den vergangenen Jahrzehnten eine gewisse Renaissance in der Naturheilkunde erlebt, was unter anderem mit der Wiederentdeckung der Hildegard-Medizin zu tun hat.

Ein neuer Platz in der modernen Medizin

Auch wenn er als Allheilmittel galt – sehr häufig wurden laut alten Schriften Menschen mit warmer, feuchter Haut und gerötetem Gesicht zur Ader gelassen. Also bei Symptomen, die auch heute noch als typisch bei Bluthochdruck angesehen werden. Für die Wissenschaft stellte sich daher die spannende Frage: Kann ein Aderlass tatsächlich den Blutdruck senken? Falls ja, wäre damit ein kostengünstiges und praktisch nebenwirkungsfreies Mittel gefunden, mit dem sich zudem zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen lassen: Die Blutdrucksenkung von Hypertonikern und die Spende dringend benötigter Blutkonserven. Denn eine Blutspende ist ja eine Form des Aderlasses mit einem wichtigen Unterschied: Anders als beim Aderlass wird das entnommene Blut nicht entsorgt, sondern medizinisch genutzt.

Regelmäßiges Blutspenden senkt den Blutdruck

Ob regelmäßiges Blutspenden den Blutdruck senken kann, untersuchte eine Forschergruppe um Professor Abdulgabar Salama, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin der Berliner Charité, und Andreas Michalsen, Professor für klinische Naturheilkunde der Charité sowie Vorstandsvorsitzender der Carstens-Stiftung in Essen. In der kontrollierten Beobachtungsstudie wurden 292 Erst-Blutspender über einen Zeitraum von einem Jahr beobachtet. Die Hälfte der Probanden litt bei Studienbeginn an erhöhtem Blutdruck von mehr als 140/90 mmHg, die anderen 146 Probanden wiesen Werte im Normbereich auf. Bis zu viermal im Jahr spendeten die Studienteilnehmer im Blutspendedienst der Charité die bei einer Blutspende üblichen 480 ml Blut. Dabei wurden ihre Blutdruck- und Blutwerte vor und nach jeder Spende gemessen. Alle Teilnehmer pflegten während der Studie ihren üblichen Lebensstil, ernährten und bewegten sich also wie gewohnt. Um aber dennoch auszuschließen, dass eine etwaige Gewichtsabnahme für eine Blutdrucksenkung verantwortlich ist, wurden auch das Körpergewicht und der Body-Mass-Index in die Auswertung der Ergebnisse einbezogen.

Blutspende: Je öfter, desto besser

Schon nach der ersten Blutspende fühlten sich die Bluthochdruckpatienten subjektiv besser. Im Hinblick auf die Blutdrucksenkung stieg der positive Effekt mit der Zahl der Blutspenden. Sie fiel umso größer aus, je öfter die Probanden Blut spendeten. So kam es bei vier Blutspenden in den 12 Monaten der Studie zu einer sehr deutlichen Blutdrucksenkung: Der systolische Wert wurde um durchschnittlich 16 mmHg und der diastolische Wert um durchschnittlich 7 mmHg gesenkt. Am meisten profitierten Patienten mit sehr stark erhöhtem Blutdruck von mehr als 160/100 mmHg zu Studienbeginn. Ihre Werte konnten im Schnitt sogar um 17 mmHg bzw. 12 mmHg gesenkt werden. Wichtig zu wissen: Wer normale Blutdruckwerte hat, muss nicht befürchten, dass sein Blutdruck durch eine Spende in den Keller sackt: In der Studie blieb der Blutdruck bei den Teilnehmern ohne Bluthochdruck normal.

Warum sinkt der Blutdruck nach einer Blutspende?

Eine mögliche Erklärung für den positiven Effekt der Blutspende auf den Blutdruck ist das Eisenspeicherprotein Ferritin. Viele Studienteilnehmer hatten sehr hohe Ferritinspiegel. Nach der Blutentnahme sanken sie deutlich. Zuviel Ferritin kann die Gefäßinnenhäute schädigen und zu Verspannungen der Gefäße führen, was sich auf den Blutdruck negativ auswirken kann. Eine andere Theorie: Nach einer Blutentnahme bilden sich neue rote Blutkörperchen. Sie sind elastischer und damit leichter verformbar, weshalb sich das Blut vermutlich mit weniger Druck durch die Gefäße pumpen lässt. Ob dem wirklich so ist oder andere Faktoren eine Rolle spielen, sollen weitere Studien klären. Fest steht aber: Menschen mit Bluthochdruck können vom Aderlass profitieren.

Wer kann Blut spenden?

Blut spenden kann jeder Gesunde über 18 Jahren. Die Altershöchstgrenze ist je nach Bundesland unterschiedlich. Nach Angaben des Deutschen Roten Kreuzes liegt das Höchstalter in Hamburg und Schleswig-Holstein zum Beispiel bei 68 Jahren, in Berlin, Brandenburg und Sachsen bei 70 Jahren. Erstspender werden in der Regel bis zum 65. Lebensjahr akzeptiert. Wer nicht zu einer Blutspende zugelassen wird, kann sich an seinen Hausarzt wenden. Spricht aus seiner Sicht nichts dagegen, kann er einen Aderlass durchführen. Dabei wird weniger Blut entnommen als bei einer Blutspende und das Blut anschließend entsorgt. Die Kosten werden in der Regel nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Als Bluthochdruckpatient sollte man nicht auf eigene Faust zur Blutspende gehen. Der Arzt muss in jedem Fall darüber informiert werden, damit er die Auswirkungen auf den Blutdruck überwachen und gegebenenfalls die Therapie anpassen kann, also zum Beispiel die Dosis der blutdrucksenkenden Medikamente reduziert.