Wie der Mensch in der Natur Kraft schöpft
Immer mehr Menschen verbringen ihre Freizeit in der Natur. Mit dem nahenden Frühling boomen wieder Natursportarten einschließlich des früher verpönten Wanderns. Die Natur tut dem Menschen gut. Und das nicht nur wegen der reinen Entspannung. Studien der vergangenen Jahre haben eine Vielzahl von Ergebnissen zu den positiven Auswirkungen der Natur auf den Menschen zutage gefördert.
Magazine wie „Landlust“ erzielen Rekordauflagen, das Buch Das geheime Leben der Bäume des Försters Peter Wohlleben war 2015 und 2016 das meist verkaufte Sachbuch in Deutschland. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) meldet wachsende Mitgliederzahlen, ebenso der Deutsche Alpenverein. Dass Deutschland ein Land der Naturliebhaber ist, zeigen auch Bevölkerungsumfragen etwa im Auftrag der Bundesregierung: Für 94 Prozent der erwachsenen Deutschen gehört die Natur zu einem guten Leben. „Geh nach draußen, das tut dir gut!“ – wozu man Kinder noch antreiben muss, ist Erwachsenen längst ein Bedürfnis. Fragt man Menschen, wo es ihnen so richtig gut geht, ist das meist draußen in der Natur: im Garten, im Wald, in den Bergen, am Meer.
Zukunftsforscher erklären die „neue Lust an der Natur“ zu einem Trend. Doch neu ist das Thema Mensch und Natur keinesfalls. „Erst unterm Blätterhimmel wird der Mensch zum Menschen.” schwärmte einst der Romantiker Ludwig Tieck (1773-1853). Und Amerikas berühmtester Naturschriftsteller, Henry David Thoreau, “ging in die Wälder, denn ich wollte wohlüberlegt leben; intensiv leben wollte ich, damit ich nicht in der Todesstunde innewürde, dass ich nicht gelebt hatte”. Zu seiner Zeit galt er als Sonderling. Heute prangt der Titel seines Hauptwerks „Walden“ (Walden or, Life in the Woods) auf einem neuen Outdoormagazin.
Bewegung draußen – da kann das Laufband nicht mithalten
Wer draußen ist, bewegt sich und das tut gut. Doch das ist es nicht allein. Dass es eine Rolle spielt, wo diese Aktivitäten stattfinden, konnten verschiedene Studien zeigen. So schickten koreanische Forscher in einer Studie 43 ältere Frauen auf einen einstündigen Spaziergang durch den Wald und 19 durch die Stadt. Davor und danach überprüften sie Blutdruck, Lungenkapazität und Elastizität der Arterien. Bei den Waldspaziergängerinnen war der Blutdruck deutlich gesunken, die Lungenkapazität und die Elastizität der Arterien hatten zugenommen. Bei den Stadtspaziergängerinnen war das nicht der Fall. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch japanische Forscher: Waldspaziergänge senken Blutdruck, Herzfrequenz und Adrenalin-Ausschüttung. Damit ist der Stresspegel niedriger als nach einem Bummel in der Stadt. Dass beim Gehen im Wald sogar Krebs-Killerzellen aktiviert werden, legen Forschungen an der Nippon Medical School in Tokio nahe. Hinreichend belegt ist auch, was wohl jeder schon oft erfahren hat: Nichts senkt den Stresslevel zuverlässiger als der Aufenthalt in freier Natur. Wer sich draußen bewegt, baut Ärger, Anspannung und Stress schneller und nachhaltiger ab als beim Indoor- Sport. Das ergab eine Studie des englischen Peninsula College of Medicine and Dentistry.
Sendepause statt Reizüberflutung
Intensiv erforscht wird vor allem die gesundheitsfördernde Kraft des Waldes. Neben der Ruhe und viel Grün, spielen dabei mit großer Wahrscheinlichkeit sogenannte Phytonzide dabei eine Rolle. Pflanzen bilden diese Substanzen, um sich vor Krankheitserregern und Schädlingen zu schützen. Atmen Waldspaziergänger Phytonzide ein, stärkt das möglicherweise ihr Immunsystem.
Aber auch andere Landschaften wie das Meer oder die Berge tun Körper und Seele gut. Warum das so ist, erklärt die sogenannte „Attention Restoration Theory“ der amerikanischen Psychologen Rachel und Stephen Kaplan. Sie besagt, dass in der Natur die Aufmerksamkeit ohne Anstrengung auf nur wenige Reize gelenkt wird. Der gedankenverlorene Blick in die Ferne, der Gesang der Vögel oder das Plätschern eines Gebirgsbachs regeneriert die für Konzentration zuständigen Hirnareale. Die mentale Erschöpfung, die durch die ständige Reizüberflutung im Alltag verursacht wird, kann so kuriert werden.
Therapeutische Landschaften: Durch Resonanz blüht der Mensch auf
Jeder hat es schon erlebt: Beim Blick in die freie Natur fühlt man sich selbst frei. Das erste Grün nach einem langen Winter erfüllt uns mit Zuversicht. Der Blick auf die glatte Oberfläche eines Sees macht innerlich ruhig. Wer sich für die Natur öffnet, wird innerlich bewegt. Wissenschaftler sprechen hier von Resonanz. Thomas Kistemann, Professor für Umweltmedizin am Universitätsklinikum Bonn, nennt Orte, an denen Menschen solche Resonanzerfahrungen machen, “therapeutische Landschaften”. Wichtig für ein gutes und gesundes Leben sei, die Beziehung zu diesen guten Orten zu pflegen. An welchen Orten man am besten abschalten kann, hängt dabei von der eigenen Persönlichkeit ab. So fand ein US-Forscherteam um Shigehiro Oishi von der University of Virginia heraus, dass introvertierte Menschen sich in den Bergen am wohlsten fühlen. Extrovertierte hingegen lieben das Meer.
Schon fünf Minuten reichen, um aufzutanken
Eine gute Nachricht für gestresste Menschen mit wenig Zeit: Der Entspannungseffekt in der Natur kommt ziemlich schnell, wie eine Metaanalyse von zehn Studien mit den Daten von insgesamt 1252 Teilnehmern ergab: Wer draußen wanderte, im Garten arbeitete, Rad fuhr, fischte, Boot fuhr oder ritt, hatte bereits nach fünf Minuten seine geistigen Kräfte erholt. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Probanden sich im Park, in unberührter Natur oder in landwirtschaftlich genutzten Gebieten aufgehalten hatten. Deshalb: Nutzen Sie die länger werdenden Tage und das hellere Licht und tanken Sie neue Energie.
Quellen und weiterführende Links:
Bmub.bund.de: Naturbewusstsein 2015 – Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt