Self-Tracking: Boom der Fitness-Apps
Kennen Sie „Magic Sleep Storm“ oder „Relax Timer“ ? Das sind zwei von über 65.000 Fitness-Apps, die sich mit Gesundheitsthemen befassen. Auf Smartphones, Stirnbändern, Uhren und sonstigen mobilen Endgeräten zählen Gesundheits-Apps Schritte, überwachen das Zähneputzen, nehmen Urin- und Hautanalysen vor oder überprüfen, ob Sie gut schlafen. Ein Beitrag über Chancen und Risiken der Selbstüberwachung (Self-Tracking).
Neuer Trend der Fitness-Apps
Die Selbstüberwachung (Self-Tracking) erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Wie eine Umfrage des deutschen Digitalverbandes Bitkom ergab, benutzt bereits jeder 8. Bundesbürger ein Gerät für Self-Tracking. Mit solchen Geräten können Vitalwerte wie Blutdruck, Puls, Blutzucker oder Gewicht gemessen, die tägliche Laufstrecke oder die gemachten Schritte aufgezeichnet, die verbrauchten Kalorien berechnet, das Zähneputzen überwacht sowie an die Einnahme von Tabletten, die nächste Vorsorgeuntersuchung und die fällige Impfung erinnert werden. Unter Self-Tracking versteht man eigentlich die systematische Erfassung von Informationen zur eigenen Ernährung, Gesundheit oder körperlichen Aktivität, in aller Regel über ein mobiles Endgerät, um Verhaltensmuster zu erkennen und so zu gestalten, dass sie das körperliche und seelische Wohlbefinden verbessern. (1) In diesem Sinn ist Self-Tracking ein begrüßenswerter Trend, weil er Menschen motiviert, sich mit ihrem Lebensstil, ihrer Gesundheit und ihrem Wohlbefinden zu beschäftigen. Und die Meldung via Smartphone, Armband oder Uhr, sich heute noch nicht ausreichend bewegt zu haben, wird so manchen zu einer Runde Laufen oder Fahrradfahren ermutigen, der sonst vorm Fernseher gelandet wäre. Diesen positiven Effekt sieht auch der Neurologe und Telemedizinexperte Johannes Schenkel. Begrüßenswert sei, so Schenkel, auch das Potenzial telemedizinischer Betreuung durch Ärzte. So könne zum Beispiel der Krankheitsverlauf eines Diabetes-Patienten positiv beeinflusst werden, wenn er über seine Blutzuckerwerte, Ernährung und körperliche Aktivität durch die digitale Aufzeichnung informiert ist und diese Aufzeichnungen seinem behandelnden Arzt zur Verfügung stellt. Mit diesen Informationen kann der Arzt die Therapie des Patienten individuell gestalten und gezielt auf Verbesserungsmöglichkeiten eingehen.
Nicht jede Gesundheits-App ist vertrauenswürdig
Die sich rasant entwickelnden technischen Möglichkeiten erlauben Kontrolle über immer mehr Lebensbereiche. So wird mittlerweile der Urin, das Hautbild, die Schlafqualität, die Stimmung und sogar die Gesellschaft, mit der man zusammen ist, digital analysiert. Es gibt fast nichts, was nicht gemessen und erfasst wird. Über 65.000 Apps beschäftigen sich mittlerweile mit dem Thema Gesundheit und Fitness, über 41.000 mit Medizinthemen, ergab eine Studie der Universität Freiburg in Zusammenarbeit mit der Info- und Bewertungsplattform HealthOn. Und da setzen die Bedenken der Telemedizinexperten an: Die Flut an angebotenen Gesundheits-Apps macht es nicht leicht, die nützlichen herauszufiltern. Bestätigt wird dies in der Studie der Universität Freiburg. In den meisten Fällen gibt es keine Angaben, woher die Auswertungen der gemessenen Daten stammen. Bei ihrer Untersuchung beispielsweise der Vorsorge- und Impf-Apps fanden die Freiburger nur bei einem Viertel Hinweise auf die Informationsquellen, bei den Diabetes-Apps sogar nur in vier Prozent der Fälle. Auch findet sich bei sehr vielen Anbietern von Apps keine Datenschutzerklärung. Die ist aber wichtig, um Datenmissbrauch zu verhindern. Daher: Hände weg von Apps, bei denen die Datenschutzerklärung fehlt oder nicht ersichtlich ist, wie der Anbieter seine App finanziert!
Self-Tracking: Das große Geschäft mit Gesundheitsdaten aus Fitness-Apps
Self-Tracker und (Quantified Self) QS-Anhänger sind mit ihren gesammelten Daten eine interessante Zielgruppe für Lebensversicherer, Krankenversicherer, pharmazeutische Unternehmen, für Forschungs- und Marketingzwecke. Zwei Strömungen in der Self-Tracking-Bewegung hat Marcia Nißen in ihrer Bachelor-Arbeit ausfindig gemacht: Zum einen sind es Menschen, die Daten sammeln, um mehr über ihre Fitness und Gesundheit zu erfahren, gemäß dem QS-Motto „Selbsterkenntnis durch Zahlen“, zum anderen sind es Menschen, die eine weltweite Community bilden, in der sie über soziale Netzwerke Daten und Informationen über bestimmte Lebenssituationen austauschen. Besonders erfolgreich ist in den USA eine Plattform mit Namen PatientsLikeMe, bei der Menschen ihre Daten zu ihrer Gesundheit/Krankheit, ihrem Befinden und ihren Körperfunktionen eingeben und ausgewertet zurückbekommen. Auf dieser Plattform tauschen sich Nutzer auch über ihre Krankheiten aus, welche Medikamente sie nehmen, was ihnen geholfen hat etc. Die Betreiber der Plattform machen keinen Hehl daraus, dass die so gewonnenen Daten „Forschern, pharmazeutischen Unternehmen, Behörden, Anbietern und gemeinnützigen Organisationen dabei helfen, effektivere Produkte, Dienstleistungen und eine effektivere Pflege zu entwickeln“. Im Juni dieses Jahres ist die Plattform eine offizielle Forschungszusammenarbeit mit der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA eingegangen.
Das Geschäft mit persönlichen Daten blüht. So werden Menschen, die bei dem Lebensversicherer John Hancock eine Lebensversicherung abschließen, mit einem Fitbit-Monitor ausgestattet, der die gewonnen persönlichen Daten an den Lebensversicherer überträgt. Die Belohnung für einen gesunden Lebenswandel sind Geschenkgutscheine bei Amazon, 50-prozentige Ermäßigungen bei Aufenthalten in Hyatt-Hotels und die Fittesten unter den Versicherten erhalten Prämienermäßigungen bis zu 15 Prozent. Ein ähnliches Modell will Generali 2016 einführen. Laut einer im Dezember 2014 von dem Marktforschungsunternehmen YouGov durchgeführten Umfrage, würde jeder dritte Deutsche seine Self-Tracking-Daten der Krankenkasse zur Verfügung stellen, wenn er dafür Vorteile hat. Als gewünschte Gegenleistungen wurden genannt: Beitragsersparnis, Gutscheine für privatärztliche Leistungen, Fitness- und Wellness-Wochenenden oder Punktegutschriften nach dem Payback-Modell. Allerdings befürchten auch 73 Prozent der Befragten im Krankheitsfall oder, wenn sie sich nicht entsprechend gesundheitsbewusst verhalten, Beitragssteigerungen ihrer Krankenkassenbeiträge.
Vor- und Nachteile des Self-Trackings
Ob Self-Tracking mehr Vor- oder Nachteile hat, hängt von verschiedenen Dingen ab. Werden beispielsweise gesundheitsbezogene Daten dem behandelnden Arzt zur Verfügung gestellt, so lässt sich die Behandlung besser steuern, ist der Vorsitzende des Telematik-Ausschusses der Bundesärztekammer, Dr. Franz-Joseph Bartmann, überzeugt. Die Sport- und Bewegungsexpertin der DAK, Simone Rohkohl, benennt die Vorteile und Nachteile folgendermaßen: „Alle wichtigen Körperfunktionen und Gesundheitsaspekte können kontrolliert werden. Pulsschlag, Blutdruck, Kalorienzufuhr und -verbrauch sind abrufbar und geben Auskunft über die körperliche Verfassung. Die Daten werden über längere Zeit gesammelt und ermöglichen so, bestimmte Gewohnheiten zu erkennen. Zudem können Self-Tracker bei bereits bestehenden körperlichen Beschwerden die eigenen Körperwerte kontrollieren und regulieren. Ein weiterer Pluspunkt ist die Zielkontrolle und Motivation. Denn wer sein selbst gestecktes Ziel noch nicht erreicht hat, wird erinnert – und damit unterstützt, sein Pensum doch noch zu schaffen.“ (2) Zu den Nachteilen zählt die DAK-Expertin: „Zunächst einmal werden sensible Daten gesammelt. … Nur der Nutzer selbst sollte entscheiden, was er damit macht. Vor allem sollte er sich genau überlegen, ob und wem er sie weiterleitet.“ Einen weiteren Kritikpunkt sieht sie in der potenziellen Abhängigkeit von den gemessenen Werten, bei der die Fähigkeit, auf den eigenen Körper zu hören und seine Signale wahrzunehmen, verloren geht.
Die Eigenverantwortung der Selbstüberwacher
Welche Risiken von Gesundheits-Apps ausgehen, hängt nicht nur von der Qualität der App ab, sondern auch von dem Anwender selbst. Ursula Kramer von HealthOn und Mitautorin der Freiburger Studie stellt fest: „Welche Risiken von einer Gesundheits-App ausgehen, hängt in hohem Maße davon ab, wofür und wie der Nutzer die App anwendet. Nutzt er die App zur Bewältigung von Krankheiten und gibt dazu über einen längeren Zeitraum gesundheitsbezogene Daten ein, sind die potentiellen Gefahren für den Nutzer in der Regel höher. Misst hingegen ein gesundheitsinteressierter Nutzer zur groben Orientierung lediglich die tägliche Anzahl der Schritte und nutzt einen BMI-Rechner, ohne dazu persönliche Daten einzugeben oder abzuspeichern, dann ist der Schaden, der durch etwaige Falschinformationen oder dem unerlaubten Ausspähen durch Dritte entstehen könnte, eher gering.“ (3) Ob Self-Tracking eine vorübergehende Begeisterungswelle ist oder eine Tendenz, muss sich erst noch herausstellen. Erste Untersuchungen über das Verhalten von Selbstüberwachern stammen aus den USA. Dort hat die Consulting-Firma Endeavour Partners, die im mobilen und digitalen Markt zu Hause ist, in einer Untersuchung festgestellt, dass jeder dritte Amerikaner, der ein Self-Tracking-Gerät besessen hat, es nach einem halben Jahr nicht mehr benutzt.
Self-Tracking und Quantified SelfSelf-Tracking kommt aus den USA, wo 2007 Gary Wolf und Kevin Kelly für die Selbstüberwacher die Quantified Self-Community (QS) gründeten, die in den USA rasch viele Anhänger fand und inzwischen weltweit anzutreffen ist. Die deutsche QS-Community entstand 2012 und ist laut eigener Aussage „eine Gemeinschaft von Anwendern und Anbietern von Self-Tracking Lösungen. Ziel dieser Gemeinschaft ist der Austausch von Wissen über die Nutzung persönlicher Daten. Dies umfasst die Mittel und Methoden zur Erfassung von Daten aus allen Lebensbereichen. Im Vordergrund stehen jedoch die persönlichen Erkenntnisse, welche aus den Daten abgeleitet werden können, sowie die Veränderungen, welche sich mit ihnen nachvollziehen lassen.“ |
Quellen und weiterführende Links:
(1) Lt. Definition des Oxford Dictionary.