Salutogenese – was uns gesund erhält

Salutogenese
Wichtiger Salutogenese-Faktor ist die Empfindung von Zugehörigkeit und tiefer innerer Zufriedenheit | Bild: Antipina – Adobe Stock


Salutogenese, das Gegenmodell zur Krankheitsforschung, ist heute aktueller denn je: Wir sind nicht einfach gesund oder krank. Wo wir uns zwischen den beiden Polen gerade befinden, hängt von unseren jeweiligen Risiko- und Schutzfaktoren ab. Wir können sogar extremste Belastungen gut aushalten, wenn wir über bestimmte Eigenschaften verfügen. Dieses Wissen verdanken wir Aaron Antonovsky, dem Begründer der Salutogenese.

Salutogenese – was ist das?

Salutogenese, die Lehre von der Gesunderhaltung, ist noch keine 50 Jahre alt! Erst ab Ende der 1970er, mit Aaron Antonovskys Salutogenese-Konzept, hat man in der westlichen Welt ernsthaft begonnen zu forschen, wie Menschen trotz äußerlicher Risikofaktoren gesund bleiben und wie sich die Gesundheit des Einzelnen fördern lässt. Der israelisch-amerikanische Medizinsoziologe gründete damit erstmals ein Gegenmodell zur Pathogenese, der Krankheitsentwicklung.

Antonovsky sprach dabei von einem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum: Wir Menschen sind immer als mehr oder weniger gesund zu betrachten. Der aktuelle Grad unserer Gesundheit hängt davon ab, welchen Stressfaktoren wir ausgesetzt sind, wie und unter Zuhilfenahme welcher – psychischen und körperlichen – Widerstandsressourcen wir diese Stressoren bewältigen können.

Ein zentraler Punkt dabei ist unser Kohärenzgefühl, unsere Empfindung von Zugehörigkeit und tiefer innerer Zufriedenheit, sowohl mit uns selbst als auch mit anderen [1].

Salutogenese ist eine wichtige theoretische Grundlage dafür, welche Bedingungen für die Gesundheit gefördert werden müssen. Gerade in den vergangenen zwei Jahren wurde der Ruf nach zielgerichteten staatlichen Maßnahmen und Aktivitäten zur Vermeidung und Vorbeugung von Krankheiten immer lauter.

Doch was können wir als Individuen selbst täglich tun, um das Risiko zu verringern, chronisch zu erkranken oder aufgrund gesundheitlicher Vorbelastungen schwer akut zu erkranken?

Wie ist Salutogenese entstanden?

1970 entdeckte der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky (1923 – 1994) etwas, dass ihn nachhaltig beeinflusste: Als er untersuchte, wie Frauen verschiedener ethnischer Herkunft mit den Veränderungen der Wechseljahre zurechtkamen, stellte er fest, dass 29 Prozent der Frauen, die den Aufenthalt in einem Konzentrationslager überlebt hatten, trotz des erlebten Horrors eine gute psychische Gesundheit aufwiesen.

Daraufhin ging er der grundlegenden Frage nach, welche Faktoren es Menschen ermöglichen, relativ gesund zu bleiben [2].

Was ist Salutogenese und Pathogenese?

Der im letzten Jahrhundert – und, wenn wir ehrlich sind, auch heute noch – weitaus bekanntere Begriff der Pathogenese bezeichnet die Forschung, warum Krankheiten entstehen und wie sie behandelt werden können.

Aaron Antonovsky begründete seine Arbeit damit, dass man nur dann mehr über die Gesundheit der Bevölkerung erfahren könne, wenn man sich nicht weiterhin ausschließlich auf die Erforschung von Krankheiten konzentriere. Denn schon damals stellten Krankheiten nicht die Ausnahme, sondern die Regel dar. In Anbetracht dieser Erkenntnis kam der Gesundheitswissenschaftler zu dem Schluss, dass die Erhaltung von Gesundheit die eigentliche Aufgabe des Gesundheitswesens sein muss.

Aus seinem damaligen Erkenntnisstand heraus formulierte er 1979 das Salutogenese-Modell und regte damit weltweit umfangreiche Forschungen an, die zur Entwicklung neuer Praxisansätze und letztendlich auch zu dem hochaktuellen Konzept der Resilienz führten.

Stressbewältigung als Gesundheitsfaktor

Entscheidend für die Gesundheit eines Menschen ist, wie er seine Stressoren bewältigt und welche Bewältigungspotenziale ihm dabei zur Verfügung stehen.

Anders als aus dem Blickwinkel der Pathogenese sah Antonovsky, dass Stress auch positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann: Gelingt es einem Menschen, seine Spannungen erfolgreich zu bewältigen, entwickelt er sich mehr in Richtung Gesundheit; wenn nicht, können unter dem andauernden Stresszustand möglicherweise Krankheiten entstehen.

Stressoren werden dabei als allgegenwärtig angesehen, die niemals vollkommen verhindert oder vermieden werden können.

Wie entsteht ein Kohärenzgefühl?

Kann ein Mensch positive Lebenserfahrungen machen, entwickelt er im Laufe von Kindheit, Jugend und frühem Erwachsenalter eine Orientierung im Leben, die als Kohärenzgefühl bezeichnet wird.

Diese Lebensorientierung besteht aus drei Faktoren, die eng miteinander verbunden sind, der Verstehbarkeit, der Handhabbarkeit und der Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens.

Besonders auf die Psyche hat das Kohärenzgefühl eine große Auswirkung. Es dient als Vermittler zwischen Stress und Gesundheit: Ist das Kohärenzgefühl eines Menschen hoch und verfügt er über ausreichende allgemeine Widerstandsressourcen, kann er vielerlei Belastungen im Leben (traumatische Lebensereignisse, Arbeitsstress, Krankheiten, usw.) besser verkraften.

Was hat Resilienz mit Salutogenese zu tun?

Resilienz, Resilienzfaktoren und Resilienztraining sind Konzepte, von denen in letzter Zeit immer öfter zu hören und zu lesen ist. Das Modell von Antonovsky ist weitaus umfassender – Salutogenese hat für Theorie, Forschung und Praxis der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung ein Entwicklungspotenzial, das noch lange nicht ausgeschöpft ist [1].

Das Spannende dabei: Je mehr sich die Ideen von Resilienz und Salutogenese verbreiten, desto mehr Menschen begreifen, dass sie ihrem Schicksal nicht machtlos ausgeliefert sind. Es ist in jedem Alter möglich, Wissen, Einstellungen und Fähigkeiten zur Erhaltung von Gesundheit zu fördern und sich Strategien zur Stressbewältigung anzueignen. Letztendlich zielt Resilienztraining auch darauf ab, das eigene Selbstwertgefühl zu stärken:

Ich bin es mir wert, mich mein Leben lang um Gesundheit und Lebensqualität zu bemühen.