Kampf dem AD(H)S – Kapitel 2: Schulmedizin entschleunigt

Chemische Verbindung Methylphenidat

Chemische Verbindung Methylphenidat | Bild: Zerbor – fotolia

AD(H)S zählt inzwischen genauso zu den chronischen Krankheiten wie Diabetes oder Rheuma. Durch eine Funktionsstörung der gehirnaktiven Botenstoffe kommt es zu einer schlechteren Leitfähigkeit, sozusagen zu einem „Wackelkontakt“ zwischen den Nervenenden bestimmter Gehirnareale.
Schulmedizinisch können hier Medikamente aus der Gruppe des Methylphenidat (Handelsnamen: Ritalin, Equasym, Medikinet und andere) eingesetzt werden. Diese Gruppe gehört zu den Stimulanzien und greift in den Stoffwechsel des gesamten Gehirns ein. Für AD(H)S-Betroffene ist jedoch die Wirkung an den Synapsen (den Nervenenden) von Bedeutung. Dort hemmt das Methylphenidat die Wiederaufnahme vor allem von Dopamin und Noradrenalin um einige Millisekunden. Die Botenstoffe werden langsamer abtransportiert. Doch das reicht schon aus, um im synaptischen Spalt eine höhere Stabilität in der Reizweiterleitung zu erlangen. Der vorher gestörte Informationsfluss kann nun deutlich effizienter arbeiten. Unwichtige Reize werden besser selektiert, was bei AD(H)S-Betroffenen sonst oft nicht ausreichend möglich ist. Sie sind somit besser in der Lage, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, die motorische und verbale Unruhe wird gedämpft und sie agieren bestenfalls weniger aggressiv und impulsiv. 85 Prozent aller AD(H)S-Patienten sprechen erst einmal positiv auf diese Behandlung an.

Fast wie Kokain

Alternativ zu diesen Wirkstoffen, jedoch weitaus seltener, werden sogenannte selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRA) wie Atomoxetin zur Behandlung von AD(H)S verordnet. Durch ihren direkten Einfluss auf den Neurotransmitter Noradrenalin hemmt die Substanz die Wiederaufnahme von Noradrenalin in die Zellen, sodass auch hier die Konzentration des Botenstoffs zwischen den Nervenenden steigt.

Die Gruppe der Methylphenidate gehört zu den Amphetaminen. Die Wirkung ist ähnlich der des Kokains. Bei Gesunden wirkt es anregend und leistungssteigernd. Es unterdrückt Müdigkeit, Schmerz und Appetit. Bei längerer Einnahme kann es aufgrund der veränderten Wahrnehmung zu sozialer Verarmung kommen. Jedes schulmedizinische Medikament mit deutlicher Wirkung kann ebenso deutliche Nebenwirkungen aufweisen. So ist aus der AD(H)S-Behandlung von Kindern mit Methylphenidaten vor allem eine Wachstumsverzögerung bekannt. Eine medikamentöse Einnahmepause in den Ferien ist daher obligatorisch, damit sich der Wachstumsverlauf wieder anpassen kann. Weiterhin kommt es häufig zu Appetitverlust, Schlafstörungen, Kopfschmerzen sowie Störungen im Magen- und Darmbereich.

Steigende Dosis

Welche Auswirkungen und Folgen die langfristige Einwirkung der Stimulanz auf die Gehirnzellen und den Gehirnstoffwechsel insgesamt hat, ist bislang nur wenig bekannt. Klar ist, dass Stimulanzien in der Regel einen Gewöhnungseffekt hervorruft. Um die gleiche positive Wirkung zu erreichen, muss die Dosierung immer höher angepasst werden.

Die langfristige Wirksamkeit von Methylphenidaten wurde 2013 in einer amerikanischen Studie ausgewertet. Das Team um William Barbaresi von der Harvard Medical School in Minnesota, untersuchte insgesamt 5.718 Kinder, von denen knapp 240 Kinder, mit einer sicheren AD(H)S-Diagnose, Methylphenidat einnahmen. Von diesen AD(H)S-Kindern waren später, als Erwachsene im Alter von 25-35 Jahren, nur 37 Prozent frei von psychischen Symptomen. 57 Prozent litten unter mindestens einer psychischen Störung, darunter Angsterkrankungen, Depression, antisoziale Persönlichkeitsstörungen oder manische Phasen. Jeder vierte litt immer noch unter AD(H)S-Symptomen. (1)

Kurzfristige Entlastung

So scheint eine langfristige Einnahme von Methylphenidat zur Behandlung von AD(H)S wenig sinnvoll zu sein. Kurzfristig eingenommen können diese Medikamente trotz erheblicher Nebenwirkungen jedoch vorerst Entlastung für betroffene Kinder und deren Betreuungspersonen bringen, wenn andere Therapiemaßnahmen bisher nicht helfen konnten. Eine ganzheitliche Komplementärbehandlung während der medikamentösen Einnahme von Methylphenidat kann Nebenwirkungen deutlich mindern. In den obligatorischen „Ruhepausen“ sollten Eltern nach einer individuell nützlichen Alternative Ausschau halten. Hier empfiehlt sich eine ganzheitliche Therapie in Verbindung mit Psychotherapie. Ziel sollte es sein, dass die Symptome dauerhaft wegbleiben, wenn die Medikamente abgesetzt werden.

Quelle:

(1) http://pediatrics.aappublications.org/content/early/2013/02/26/peds.2012-2354.abstract

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