Hildegard von Bingen – mehr als Dinkel und Kräuter

Nicht nur für Heilmittel und Dinkelkekse ist Hildegard von Bingen bekannt sondern auch für ihre Hildegard-Medizin und die ganzheitliche Betrachtung des Menschen

Nicht nur für Heilmittel und Dinkelkekse ist Hildegard von Bingen bekannt sondern auch für ihre Hildegard-Medizin und die ganzheitliche Betrachtung des Menschen. | Bild: zatletic – fotolia

Klostermedizin ist populär und oft verbunden mit Hildegard von Bingen. Dabei hat die Ordensfrau mehr hinterlassen als nur Rezepte für Heilmittel und Dinkelkekse. Ihre Botschaft „Ganzheitlich!“ war zu ihrer Zeit revolutionär und ist auch heute noch keine Selbstverständlichkeit. Auch ihre „Regeln für ein gesundes Leben“ sind nicht verstaubt und vieles davon ist mittlerweile wissenschaftlich belegt. Was Hildegard von Bingen uns heute vor allem bieten kann, ist eine Chance zum Umdenken. Und die sollte man nicht verpassen.

„Hildegard-Medizin“

Zahllose Kräutermischungen, Liköre, Nahrungsmittel, Tinkturen, Kosmetika, Edelsteine, Kochbücher, Gesundheitsratgeber und sogar Hotels tragen ihren Namen. Hildegard von Bingen (*1098 in Bemershein bei Alzey; † 1179 bei Bingen) ist zu einem Markenzeichen geworden und seit der österreichische Arzt Gottfried Hertzka in den 1970er Jahren den Begriff der sogenannten „Hildegard-Medizin“ prägte, hat die Gesundheits- und Ernährungslehre der Ordensfrau immer mehr Anhänger gefunden. „Offenbar verbindet man mit Hildegard von Bingen im Allgemeinen so etwas wie Gesundheit und Natürlichkeit, Natur und Gesundheit inmitten einer naturfernen, technisierten, profitorientierten Zivilisation.“ (Christine Büchner: Hildegard von Bingen). Was man dabei nicht vergessen darf: Aus diesem Image wird jede Menge Profit gezogen und nicht überall wo „Hildegard“ drauf steht ist auch „Hildegard“ drin. Bei Wissenschaftlern stößt der Hildegard-Boom deshalb nicht auf ungeteilte Begeisterung.

Mystikerin, Naturforscherin, Medizinerin, Dichterin, Komponistin, Kirchenpolitikerin, Prophetin – Hildegard von Bingen gilt als bedeutendste Deutsche des Mittelalters. Kaiser Barbarossa suchte ihren Rat und noch heute folgen viele den Lehren der Benediktinerin. Hildegards Schriften waren lange Zeit vergessen. Mit dem Buch „Das Wunder der Hildegard-Medizin” machte sie der österreichische Arzt Gottfried Hertzka 1978 wieder zugänglich und prägte den Begriff der sogenannten „Hildegard-Medizin“.

Heilfasten nach Hildegard

Kritik daran kommt vor allem von Seiten der Medizinhistoriker. Kritisiert wird, dass ihre Texte ohne medizinhistorische Kenntnisse einfach übersetzt und so falsch interpretiert werden. Zudem bezweifeln die Wissenschaftler, dass die Schriften, aus denen Dr. Hertzka seine „Rezepte“ entnommen haben will, tatsächlich in dieser Form Hildegard zuzuschreiben sind, da die Originale nicht mehr auffindbar sind. Vieles, was unter ihrem Namen angeboten wird, habe überhaupt nichts mit Hildegard zu tun. Zum Beispiel das sehr populäre „Heilfasten nach Hildegard“. „In den Schriften von Hildegard setzt sich lediglich ein Satz mit diesem Thema auseinander, der frei übersetzt lautet: ‘Das Fasten sollst du nicht übertreiben’ – das ist alles”, erklärt der Medizinhistoriker Johannes Mayer, Leiter der „Forschergruppe Klostermedizin” am Institut für Geschichte der Medizin an der Universität Würzburg kürzlich in der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“. Von derartigen kleinen Etikettenschwindeleien abgesehen, gebe es aber durchaus einige Hildegard-Produkte, die zweifelsfrei auf Empfehlungen der Nonne selbst zurückgehen wie die Verwendung von Bertrampulver oder auch Dinkelprodukte.

Den Menschen ganzheitlich betrachten

Mit dieser Kritik soll die Leistung der Hildegard von Bingen nicht diskreditiert werden. Im Gegenteil: Die Kritiker wehren sich gerade dagegen, dass das Bild dieser bedeutenden Frau des Mittelalters auf das einer Kräuter- und Dinkel-Nonne reduziert und für die massenhafte Vermarktung von Hildegard-Produkten genutzt wird. Denn dabei wird die eigentliche Leistung von Hildegard von Bingen auf dem Gebiet der Heilkunde oft übersehen: Das Zusammenbringen des damaligen Wissens über Krankheiten und Pflanzen aus der griechisch-lateinischen Tradition mit dem der traditionellen europäischen Medizin, ihre Überzeugung, dass unsere Gedanken und unsere Lebensführung einen wichtigen Einfluss auf unsere Gesundheit haben und ihr zeitloser Anspruch, den Menschen ganzheitlich zu betrachten.

Hildegard von Bingen hat der Nachwelt ein Erbe hinterlassen, das weit über Rezepte für Dinkel-Kekse und Co. hinausgeht. Vor allem ihre Lebensregeln für ein gesundes Leben sind in unserer schnelllebigen Zeit aktueller als je zuvor und wären es wert, mehr beachtet zu werden.