Bircher-Benner und sein Müesli

Die „Apfeldiätspeise“ als Vorläufer des Bircher-Müslis setzte Bircher-Benner zwar ein Denkmal, war aber nur Teil seiner Ernährungslehre

Die „Apfeldiätspeise“ als Vorläufer des Bircher-Müslis setzte Bircher-Benner zwar ein Denkmal, war aber nur Teil seiner Ernährungslehre. |
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Bircher? Das ist doch der mit dem Müsli? Richtig! Aber Doktor Max Otto Bircher-Benner (1867 bis 1939) war sehr viel mehr als nur der Vater des Ur-Müslis. Er war Vorreiter einer ganzheitlichen, psychosomatischen Medizin. Das Müsli-Rezept, das ihm trotz des damals noch wenig verlockenden Namens „Apfeldiätspeise“ ein Denkmal setzen sollte, kreierte Bircher-Benner im Jahre 1900.

forum-boxMüslis gibt es heute wie Sand am Meer und die Industrie erschafft ständig neue Kreationen. Wer es individueller mag, hat im Internet sogar die Wahl zwischen rund 80 Zutaten, aus denen sich rein rechnerisch 566 Billionen Müslisorten zusammenstellen lassen. Was heute alles als „Müsli“ daherkommt, würde seinem Erfinder die Haare zu Berge stehen lassen und was wir gerade wegen seiner Vielfalt so schätzen, war ursprünglich als einfaches Mahl gedacht und von jeglicher Üppigkeit weit entfernt. Abgeschaut hatte er es sich bei den Alpenhirten, die sich mit einem Brei aus geschrotetem Getreide, Rohkost und Ziegenmilch satt aßen. Der Arzt wandelte die Mischung nach seinen Vorstellungen ab.

Bircher Müsli selber machen

Hauptzutat seines Originalrezepts sind Äpfel, nämlich pro Person 2 bis 3 kleinere oder ein großer, samt Schale und Gehäuse auf einem Reibeisen gerieben. Dazu ein Esslöffel geriebene Nüsse oder Mandeln, ein Esslöffel eingeweichte Haferflocken, der Saft einer halben Zitrone und ein Esslöffel gezuckerte Kondensmilch. Man vermengt die Haferflocken mit Kondensmilch und Zitronensaft und vermischt das Ganze mit dem Apfelbrei. Die geriebenen Nüsse werden obenauf gestreut. Fertig.

Geschichte des Müslis

Wegen der breiigen Konsistenz wurde die Apfelspeise umgangssprachlich bald als Müsli (in der Schweiz Müesli), also „kleines Mus“ oder „Breichen“ bezeichnet. Bircher-Benner übrigens hat seine Erfindung selbst nie so genannt. Das erklärt auch, weshalb er sich den Namen „Müsli“ nicht schützen ließ. Ihren Siegeszug trat die Speise im Zuge der 68-Bewegung an, die Müsli als alternative Frühstückskost für sich entdeckte. Der Anteil von Getreideflocken, Nüssen und Körnern wurde im Vergleich zum Original deutlich erhöht – das Müsli war seitdem auch etwas zum Kauen.

„Cereals“ mit weltweiter Popularität

Doch erst die überzuckerten Produkte der amerikanischen Kellogg-Brüder verhalfen dem Müsli über die WG-Küchen und Reformhäuser hinaus zu weltweiter Popularität: Industriell verarbeitetes Trockenfutter, süß, schnell zubereitet. Mit den „cereals“ gingen Cornflakes und Müsli eine Verbindung ein, die von Birchers Naturprodukt im Geiste von Rohkost und Naturheilkunde meilenweit entfernt war.

Bircher-Benners Ernährungslehre

Die „Apfeldiätspeise“ setzte Bircher-Benner zwar ein Denkmal, war aber nur Teil seiner Ernährungslehre, zu der auch der Verzicht auf Brot aus Weißmehl, auf weißen Zucker und Fleisch gehörte. Allein durch eine Ernährung mit mehr Rohkostanteilen könne man den Heilungsprozess bei Krankheiten fördern, so seine Meinung. Doch die entsprach nicht dem Zeitgeist um 1900, als sich die Ärzteschaft noch kaum um die Ernährung kümmerte und Fleisch als besonders gesundes Lebensmittel galt. Sein Ansatz war damit ebenso revolutionär wie angefeindet. Als er im Januar 1900 im Zunfthaus zum Saffran vor der Zürcher Ärzteschaft erstmals öffentlich erklärte, dass Getreide, Früchte und Gemüse hochwertigere Nahrung als Fleisch seien, erntete er Spott und Tadel. „Herr Bircher hat die Grenzen der Wissenschaft verlassen – er ist für uns nicht mehr tragbar!“, erklärte deren Präsident.

Privatsanatorium „Lebendige Kraft“

1902 eröffnete er auf dem Zürichberg das Privatsanatorium „Lebendige Kraft“. Bald war er auch über die Schweiz hinaus für die Anwendung verschiedener Naturheilmethoden wie Sonnen- und Luftbäder, Wasserkuren, Gymnastik und für eine rigorose Ernährungsumstellung auf vegetarische Vollwert- und Rohkost bekannt. Ein prominenter Kurgast war Thomas Mann. In den ersten Tagen wäre der Schriftsteller dem „Zuchthaus“ wie er das Sanatorium bezeichnete, am liebsten entflohen, fühlte er sich doch degradiert zum „Gras essenden Nebukadnezar, der im Luftbade auf allen Vieren geht“. Er blieb dann doch und seine Magen-Darmprobleme besserten sich, so Mann, ins „Nie dagewesene“.

Frischluft, Sonnenlicht, Bewegung und Ernährungsumstellung

Im Gegensatz zu den streng naturwissenschaftlich orientierten Ärzten seiner Zeit verstand Bircher Krankheit nicht als Folge einer einzelnen Ursache, sondern einer insgesamt gestörten Lebensform: „Krankheit ist Unordnung.“ Und dieser Unordnung setzte er eine ganzheitliche Antwort entgegen: die Ordnungstherapie – gedacht als Kombination von gesunder Ernährung, Bewegungsheilkunde und Gymnastik, Atem- und Wassertherapie, Massage, Meditation und Psychotherapie. Durch seine Medizinerkollegen wurde er hart angegriffen. Sein Ansatz galt ihnen als unseriös und sogar als gefährlich. Aber seine Erfolge gaben ihm recht. Durch Frischluft, Sonnenlicht, Bewegung und vor allem durch eine Ernährungsumstellung konnte er viele Menschen von Krankheiten heilen, die die Mediziner seiner Zeit als unheilbar einstuften.

Bis heute fanden Birchers Erkenntnisse tausendfache Bestätigung, denn er behandelte nicht nur eine Krankheit, sondern den ganzen Menschen und dessen Lebensstil. Am 24. Januar 1939 verstarb er, 71-jährig, an einer Herzkrankheit. Seine Klinik wurde 1994 geschlossen, was Medizinhistoriker darauf zurückführten, dass die Trendwende von der seriösen Ganzheitsmedizin – Thomas Manns „Zuchthaus“ lässt grüßen – zur weniger strengen ganzheitlichen Wellness-Welle nicht früh genug eingeleitet worden war. Doch der Einfluss des medizinischen Pioniers überdauerte und reicht wie das weltberühmte „Bircher-Müsli“ zeigt, noch heute weit über die Schweiz hinaus.

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