Antibiotikaresistenz – Weder neu noch zu verhindern
Bakterien sind überall – viele sind für den Menschen nützlich, andere machen krank. So ist beispielsweise Tuberkulose in Deutschland wieder ein ernstzunehmendes Problem, so das Robert Koch-Institut (RKI). Antibiotika wirken immer weniger. Der hohe Verbrauch ist eine Hauptursache für die Entwicklung und Ausbreitung von Antibiotika-resistenten Krankheitserregern. Seit Jahrzehnten mahnen Gesundheitsexperten, Antibiotika gezielt und sparsam einzusetzen.
In der Luft, im Wasser, im Boden, im Packeis der Pole, in siedenden Schwefelquellen, auf unserer Haut und in unserem Körper – Bakterien sind überall. Die meisten sind für uns harmlos, viele lebensnotwendig. Doch um die nützlichen Dienstleister für Mensch und Ökosystem geht es hier nicht. Hier ist die Rede von den üblen Keimen, die uns krank machen. Denn die melden sich im großen Stil zurück. Stichwort Tuberkulose. Europa steuert laut einer aktuellen Studie der Universität Kiel auf eine Epidemie zu. Dabei galt diese gefährliche Infektionskrankheit dank jahrzehntelangem Antibiotika-Einsatz bei uns als überwunden. Was ist passiert?
„Tuberkulose an Gymnasium“ – in diesem Sommer sorgte die offene Tuberkulose einer 14-jährigen Berliner Schülerin für Schlagzeilen. Tuberkulose? Heute kein Problem mehr, denken viele. Tatsache aber ist: Tuberkulose ist in Deutschland ein ernstzunehmendes Problem, so das Robert Koch-Institut (RKI). Seit etwa drei Jahren sinken die Krankheitszahlen laut RKI kaum noch. Die Zahl der Neuerkrankungen bei Kindern ist sogar gestiegen. 2011 erkrankten bundesweit 179 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren, 2010 waren es 160 Fälle, 2009 nur 142 Fälle. Der Kampf gegen die krankmachenden Keime geht in eine neue Runde.
Die Entdeckung der Bakterien
Bis der Mensch den bewussten Kampf gegen die Bakterien aufnehmen konnte, musste er sie erst einmal erkennen. Bis dahin war sein Immunsystem die einzige Verteidigungswaffe gegen die Eindringlinge. Wer eine Infektionskrankheit überlebte, hatte schlicht eine gute Konstitution oder einfach Glück. Es hat lange gedauert, bis man die Verbindung zwischen Seuchen wie Tuberkulose, Cholera, Diphterie & Co. und den Bakterien als ihre Verursacher erkannte. 1677 gelang es dem Holländer Antony van Leeuwenhoek mit Hilfe eines selbst gefertigten Mikroskops, Bakterien das erste Mal für das menschliche Auge sichtbar zu machen. Erst 1882 glückte es dem deutschen Arzt Robert Koch, gezielt den Erreger einer bakteriellen Infektion beim Menschen zu isolieren – den Erreger der Tuberkulose. Eine wirkungsvolle Waffe gegen die Winzlinge wurde erst Jahrzehnte später gefunden: Antibiotika, genauer das Penicillin durch den Engländer Alexander Fleming.
Heute gibt es Dutzende Wirkstoffe, die auf unterschiedliche Weise Bakterien bekämpfen. Von einem Sieg der Antibiotika über die Bakterien kann aber nicht die Rede sein. Entgegen allen Erwartungen sind Infektionskrankheiten nach wie vor eine Bedrohung für die Gesundheit und das Leben der Menschen. Die kleinen Überlebenskünstler sind den Menschen einfach immer eine Nasenlänge voraus.
Bakterien: Die ersten Lebewesen auf der Erde
Bakterien sind echte Lebewesen. Kurz beschrieben sind sie Zellen ohne Zellkern. Sie können sich selbstständig bewegen, ernähren und vermehren. Die Mikroben gibt es schon über 3,5 Milliarden Jahre. Sie betraten als erste die Bühne des Lebens. Zwei Milliarden Jahre gehörte ihnen die Welt allein. Im Laufe dieser Ewigkeit waren die Winzlinge höchst kreativ: Sie erfanden Photosynthese und Sauerstoffatmung; sie lernten schwimmen und eroberten immer neue Lebensräume – zuletzt den menschlichen Körper. Dort geht es den Bakterien gut und auch der Mensch profitiert von seinen Mitbewohnern. Ohne Bakterien im Darm wird zum Beispiel das Vitamin K nicht gebildet.
Die meisten Bakterien sind für den Menschen harmlos. Bestimmte Mikroorganismen können aber auch gefährliche, ja sogar tödliche Infektionen verursachen. Salmonellen, Colibakterien, Legionellen oder Borrelien sind nur einige der Minimonster. Gegen Bakterien helfen Antibiotika. Doch diese goldene Regel der Medizin gerät immer mehr ins Wanken.
Überlebenskünstler: Multiresistenz als Superwaffe
Bakterien haben eine ganz ausgeklügelte Überlebensstrategie: Sie passen sich ihrem Feind an. Ein Antibiotikum ist ein solcher Feind. Fast alle Keime sind dazu fähig, nach mehrfachem Kontakt mit Antibiotika das Erbgut und die Zellmembran so zu verändern, dass sie unempfindlich (medizinisch: resistent) dagegen sind. Hat ein Bakterium einen Abwehrmechanismus gegen ein Antibiotikum gefunden, gibt es ihn in Form kleiner Erbgutstückchen direkt an andere Bakterien weiter. Das müssen nicht einmal Verwandte sein.
Krankenhauskeime verlassen die Klinik
MRSA, VRSA, VRE, ESBL-Bildner, MDR-TB, EHEC oder einfach nur MRE für multiresistente Erreger – die üblen Gesellen mit den kryptischen Bezeichnungen haben es als Krankenhauskeime zu trauriger Berühmtheit gebracht. Zu den absoluten Promis gehört hier der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus, kurz MRSA. Immer wieder sorgt er für negative Schlagzeilen, etwa durch Todesfälle auf Frühchenstationen. Schätzungen gehen von jährlich 20.000 Infektionen mit MRSA aus. Die gefürchteten Erreger können Wunden infizieren, Lungenentzündungen oder Blutvergiftung hervorrufen. Einige Patienten verlieren Arme oder Beine durch den Keim. Etwa 1.500 MRSA-Infizierte sterben in Deutschland jedes Jahr.
Doch längst befallen MRSA und Konsorten nicht mehr nur Patienten in Krankenhäusern. Immer mehr Menschen fangen sich die Problemkeime im Alltag ein. Um sie von den Krankenhauskeimen zu unterscheiden, bekommen sie das Kürzel „c“ oder „ca“ für „community aquired“, was so viel heißt wie „in der Gemeinschaft erworben“.
Antibiotikaresistenz: Weder neu noch zu verhindern
Resistenzen sind kein neues Phänomen. Lange bevor der Mensch Antibiotika benutzte, konnten sich die Mikroorganismen gegen sie wappnen. Das belegt der Fund von mehreren Resistenz-Genen in 30.000 Jahre alten Permafrost-Bodenproben. Wie ist das möglich? Ganz einfach, weil die Stoffe, aus denen sich Antibiotika ableiten, auch in der Natur vorkommen. Sie werden von Pilzen und Bakterien gebildet; das erste entdeckte Antibiotikum, Penicillin, stammt von einem Schimmelpilz.
Auch wenn es das erste Penicillin-resistente Bakterium lange vor der „Entdeckung“ des Penicillin selbst gab, d.h. Resistenzen ein natürliches biologisches Phänomen sind, trägt der Mensch eine Menge zur Misere bei. Der hohe Verbrauch von Antibiotika ist eine Hauptursache für die Entwicklung und Ausbreitung von Antibiotika-resistenten Krankheitserregern. Seit Jahrzehnten mahnen deshalb Gesundheitsexperten, Antibiotika nur sehr gezielt und sparsam einzusetzen. Leider mit wenig Erfolg. So werden unbeirrt Entzündungen der Nasennebenhöhlen mit Antibiotika behandelt – was meistens weder angezeigt noch wirksam ist. Und das ist nur ein Beispiel für die maßlose Verschwendung, die unsere einstige Wunderwaffe im Kampf gegen Infektionskrankheiten stumpf werden lässt.
Ebenso fatal ist der übermäßige Einsatz von Antibiotika in der Tiermedizin respektive Nahrungsmittelproduktion. Doch auch ein vernünftiger Gebrauch kann Resistenzen letztlich nicht verhindern. Bislang folgte auf jede Einführung eines neuen Antibiotikums die Entstehung resistenter Erregervarianten. Dennoch: Durch den verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika kann das persönliche wie auch das allgemeine Risiko für eine Resistenzentwicklung bedeutend reduziert werden.
Der Wettlauf Mensch-Bakterium geht weiter
Die Entwicklung neuer Antibiotika wird auch in Zukunft ausschlaggebend sein, um im Kampf gegen Resistenzen nicht ins Hintertreffen zu geraten. Die Forschung arbeitet deshalb weltweit permanent mit Hochdruck an der Entwicklung neuer antibiotisch wirksamer Substanzen. Die führenden Fachgesellschaften in Deutschland auf dem Gebiet der Infektiologie
- die Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e. V. (PEG)
- die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie e.V. (DGI)
- sowie die Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM)
haben sich zusammengeschlossen, um das Problem der Antibiotikaresistenz und deren Ausbreitung in Deutschland wissenschaftlich zu erforschen und geeignete Strategien zur Bekämpfung zu erarbeiten, damit bakterielle Infektionskrankheiten auch in Zukunft erfolgreich behandelt werden können.
Sehen Sie hier unser Dossier zum Thema Antibiotika
Quellen und weiterführende Links:
Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland für 2011