Abenteuer Homöopathie: Medizin aus dem Regenwald

In rund der Hälfte der bei uns gebräuchlichen Arzneimittel stecken natürliche Inhaltsstoffe – ein Großteil davon kommt aus dem Regenwald

In rund der Hälfte der bei uns gebräuchlichen Arzneimittel stecken natürliche Inhaltsstoffe – ein Großteil davon kommt aus dem Regenwald. |
Bild: Patryk Kosmider – fotolia

Im All, in Höhlen, unter Wasser, im Hochgebirge, in der Wüste, in den Tropen und auch im Labor wird auf Hochtouren nach immer neuen Grundstoffen und Leitstrukturen zur Entwicklung neuer Medikamente gesucht. Haben frühere Expeditionen oft zufällig medizinisch verwertbare Erkenntnisse gebracht, so stützt sich heute die Forschung mehr und mehr auf überliefertes Wissen indigener(1) Völker. Die tropischen Regenwälder am Amazonas, in Indonesien und in Afrika gelten wegen ihres Artenreichtums an Pflanzen und Tieren als Medizin-Schatzkammer.

Tiere und Pflanzen im Regenwald für die Medizin

In rund der Hälfte der bei uns gebräuchlichen Arzneimittel stecken natürliche Inhaltsstoffe – ein Großteil davon kommt aus den Tropen. Der tropische Regenwald macht heute wegen Raubbau und Rodung nur noch drei bis vier Prozent der Erdoberfläche aus, dennoch beherbergt er über die Hälfte aller existierenden Tier- und Pflanzenarten. Auf seinen kirchturmhohen Bäumen findet man in fünf Vegetations-Stockwerken Pilze, Farne, Moos, Lianen, Orchideen, bunte Schmetterlinge, giftige Baumfrösche, Schlangen, die in ihren Beständen bedrohten Menschenaffen, Leoparden sowie unzählige Insekten. Seit Jahrtausenden lebten hier Menschen im Einklang mit der Natur; ihrem Wissen um die Heilkräfte der Natur verdanken wir zahlreiche Arzneimittel. So beinhaltet beispielsweise die pazifische Eibe in ihrer Rinde das in der Krebstherapie eingesetzt Taxol, lindert die Teufelskralle Bewegungsschmerzen und stärkt der Sonnenhut (Echinacea) die Abwehrkräfte. Aus dem Wissen der Indianer werden über 600 Heilkräuter erfolgreich bei uns eingesetzt. Aber erst knapp zwei Prozent der tropischen Pflanzen sind auf ihre Wirkung untersucht. Kein Wunder, dass hier immer wieder nach neuen Grundstoffen für Arzneimittel gesucht wird. Aber nicht nur nach Pflanzenextrakten wird Ausschau gehalten. Auch das Überlebens- und Abwehrverhalten von Pflanzen- und Tieren wird untersucht. So schützen sich beispielsweise manche Pflanzen durch die Bildung von Alkaloiden vor Fraßfeinden. Diese im sekundären Stoffwechsel gebildeten Substanzen sind für die pharmakologische Forschung interessant.

Auf der Suche nach einem neuen Rheumamittel

Im Rahmen eines noch laufenden Forschungsprojekts des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) suchen Doktoranden der TU Dortmund zusammen mit Studenten der Universität Yaoundé I in Kamerun nach Pflanzen, die von afrikanischen Heilern eingesetzt werden. Das Wissen über das Potenzial der Heilpflanzen wurde über Generationen hinweg mündlich überliefert. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Mitteln, die zur Behandlung rheumatischer Erkrankungen eingesetzt werden. Bei einer Expedition ins nördliche Kongobecken in Kamerun hat Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Spiteller vom Institut für Umweltforschung der Fakultät Chemie und Chemische Biologie mit Hilfe des Heilers Sedar Mamekele den Ochna-Calodendron-Baum gefunden, dessen Rinde in Afrika traditionell gegen Rheuma eingesetzt wurde. Laboruntersuchungen der Substanzen und chemischen Leitstrukturen müssen nun zeigen, ob daraus eines Tages ein gut verträgliches Medikament gegen Rheuma werden kann.

Neben den Pflanzeninhaltsstoffen haben mittlerweile auch Pilze und andere Mikroorganismen, die in Symbiose mit den tropischen Pflanzen leben, das Forschungsinteresse geweckt. Im Dja-Regenwald von Kamerun und auf dem Berg Kamerun gefundene Pilze werden auf ihre mögliche Wirkung gegen Entzündungen und bakterielle Infektionen untersucht.

Der lange Weg zum Medikament

Nur eine von 100.000 untersuchten Pflanzen schafft es tatsächlich zur Medikamentenentwicklung und es dauert zehn bis 15 Jahre, bis sie als Medikament tatsächlich zugelassen werden kann. Zunächst muss die genaue chemische Zusammensetzung bestimmt werden, was vor allem bei komplexen Strukturen nicht einfach ist. Sie ist die Voraussetzung zur Patentanmeldung und den vorgeschriebenen Wirksamkeitsstudien. Bislang sind nur etwa zwei Prozent der tropischen Pflanzen auf eine etwaige Heilwirkung untersucht. Es gibt also noch viel zu entdecken.

Schlangengift Lachesis als Heilmittel in der Homöopathie

Das Schlangengift Lachesis wird durch das „Melken“ der Buschmeister-Schlange gewonnen und ist in einer homöopathisch verdünnten Form ein geschätztes Konstitutionsmittel

Das Schlangengift Lachesis wird durch das „Melken“ der Buschmeister-Schlange gewonnen und ist in einer homöopathisch verdünnten Form ein geschätztes Konstitutionsmittel. | Bild: bender1982 – fotolia

Substanzen und Gifte von Tieren wurden seit Jahrtausenden in der Volksmedizin eingesetzt. Einige haben sich bis in die heutige Zeit gehalten. So wurden zum Beispiel Schlangengifte als Vorlage für einige ACE-Hemmer zur Blutdrucksenkung verwendet. Außerdem werden sie zur Blutgerinnungs-Hemmung eingesetzt.

Der deutsche Arzt Constantin Hering (1800-1880), der als Begründer der Homöopathie in Amerika gilt, hat Schlangengift im 19. Jahrhundert in die Homöopathie eingeführt. Von den rund 3.000 bekannten Schlangenarten ist nur jede zehnte giftig. Die meisten Giftschlagen leben in den tropischen Wäldern Südamerikas. Darunter auch die bis zu zweieinhalb Meter großwerdende Vipernart Buschmeister, mit lateinischem Namen Lachesis muta, die ihre Beute mit ihrem Gift lähmt.

Lachesis als Konstitutionsmittel

Hering hat als erster das Schlangengift Lachesis, das durch „Melken“ der Buschmeister-Schlange gewonnen wird, getestet. Bei Eigentests verursachte eine zu hohe Dosis eine Lähmung seines rechten Arms, unter der er zeitlebens litt. Dennoch ist es sein Verdienst, dass das Schlangengift der Buschmeister-Schlage in einer homöopathisch verdünnten Form auch heute noch ein sehr geschätztes Konstitutionsmittel ist, das bei Infektionskrankheiten, Entzündungen, eitrigen Abszessen, Venenerkrankungen und Ulcus cruris, Gelenkrheumatismus sowie bei Regelbeschwerden eingesetzt wird. Lachesis ist beispielsweise in den homöopathischen Arzneimitteln Gelsemium comp.-Hevert Tropfen gegen Nervenschmerzen, Hevertotox Erkältungstabletten P und Hevertotox Erkältungstropfen zur Steigerung der Infektabwehr, Sinusitis Hevert SL gegen Schnupfen und Entzündungen der Nasennebenhöhlen sowie Lymphaden Hevert Complex bei chronischen Erkrankungen mit Schwellungen der Lymphknoten enthalten.

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(1) Indigene Völker ist die international gebräuchliche Bezeichnung für Bevölkerungsgruppen, die Nachfahren der Bevölkerung sind, die vor der Kolonialisierung in einem bestimmten Gebiet gelebt hat. Dazu zählen die Indianer Nord- und Südamerikas, die Inuit der Polarregion, die Aborigines in Australien und die Maori in Neuseeland.